Vorhandene Substanz erhalten und sinnvoll umgestalten statt Abriss und Neubau. „Gelungene Reparatur“ ist die dritte Kategorie beim Architekturpreis Daidalos.
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 17.12.2016
Die Wegwerfkultur wird gerne kritisiert. Zunehmend schuldbewusst schmeißen wir Geräte, Kleider, Essen in den Müll. Seltener wird der verschwenderische Umgang mit Raum kritisch diskutiert, obwohl das ökologisch, sozial und ökonomisch noch viel schwerer wiegt. Auch Gebäude werden achtlos liegen gelassen, mutwillig zerstört oder entsorgt, nur um stattdessen etwas „Modernes“ anzuschaffen, ein Haus, ein technisches Bauwerk, ein Unternehmen oder ein ganzes Stadtviertel. Was dafür vernichtet wird, welche Geschichte es hat, warum es nicht mehr funktioniert und was daran noch immer gut und schön sein könnte, interessiert kaum. Erst einmal wird mit der Abrissbirne Platz gemacht, dass sich das Neue frei entfalten kann.
Der Sonderpreis beim OÖN-Daidalos ist jenen Projekten gewidmet, die einen anderen Weg gehen, die den vorhandenen Raumvorrat zu schätzen und zu nutzen wissen. Die Kategorie gilt architektonischen Updates, die Altbestand wiederherstellen, umnutzen oder erweitern, Revitalisierungen, Sanierungen und Ergänzungen.
Neue Nutzung ermöglichen
Wer etwas reparieren will, muss verstehen, wie es funktioniert. Nicht die Hülle ist meistens das Problem, sondern das Innenleben. Ein Beispiel: Die Oma vereinsamt im Haus aus den 70er Jahren, das einst für die sechsköpfige Familie geplant war. Der Lauf der Zeit und die veränderten Bedingungen wurden übersehen. Als Reparatur wären ein paar intensive Gespräche, ein, zwei Mauerdurchbrüche oder eine zusätzliche Treppe und kluge Gestaltung dort und da schon genug. Der Fehler ließe sich beheben und das Haus wäre fit für individuelles Bewohnen durch drei Generationen. Ähnliche Beispiele gibt es in jedem Maßstab. Industriebetriebe etwa, die aufgrund veränderter Technologie und Wirtschaftsweise nicht mehr genutzt werden, stellen riesige Raumvolumen bereit. Sie können mit architektonischen Konzepten für neue Produktionsformen adaptiert werden. Aus Fabriken und Lagerhallen werden Räume der Kultur oder Bildung. Es braucht Vorzeigeprojekte, weil das Angebot an postindustriellem Leerstand wachsen wird.
Was den Energiebedarf betrifft, hat die moderne Bautechnik in den letzten Jahrzehnten gegenüber dem Bestand einen ordentlichen Vorsprung herausgearbeitet. Im Altbau wird deshalb fleißig gedämmt und abgedichtet. Wer erfolgreich sanieren will, hat aber nicht nur Energiekennzahlen im Kopf, sondern hinterfragt, ob die verwendeten Dämmstoffe wirklich gut sind für die Ökobilanz und ob die Energieoptimierung mit der Würde des Gebäudes überhaupt vereinbar ist.
Respektvoll weiterbauen
Das Reparieren alter Bauwerke kann nicht immer nur den Zweck der idealen Nutzbarkeit verfolgen. Manchmal geht es einfach um Geschichte und Identität. Viele Gebäude und Ensembles in Oberösterreich stehen unter Denkmalschutz. Diese wertvollen Kulturgüter gilt es für die Nachwelt zu erhalten und zu pflegen. Richtig erhaltenswert bleiben sie allerdings nur, wenn sie auch belebt werden. Da kann eine architektonische Intervention den entscheidenden Impuls liefern. Oft kommen die historischen Qualitäten des Bestands erst durch die zeitgenössische Ergänzung richtig zur Geltung. Die Einrichtung des Diözesanmuseums in den gotischen und barocken Gewölberäumen der Probstei Gurk in Kärnten ist ein Beispiel. Mit wenigen hochwertigen Materialien und handwerklich höchst präzise wurden die ehemaligen Wirtschaftsräume durch die Klagenfurter Architekten Roland Winkler (Daidalos-Juror) und Klaudia Ruck in die „Schatzkammer Gurk“ verwandelt. Die historischen Deckenschalen wurden restauriert, ansonsten blieben sie unangetastet. Sämtliche Technik verschwindet in der Kiesschüttung am Boden. Die Ausstellungsarchitektur ist deutlich von heute, durch Schlichtheit und die sichtbare Logik der Konstruktion ist sie dem Bestand trotzdem eng verbunden und ähnlich zeitlos schön.
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen. Dieser Text erschien im Zusammenhang des Architekturpreis Daidalos der OÖNachrichten, den ich in den Jahren 2016 und 2018 inhaltlich gestaltete, journalistisch begleitete und mitjurierte.