Die Flüchtlingskrise ist keine Krise der Geflohenen, sondern ein Hinweis auf die Krise des Vorhandenen: So fehlen gute Ideen für nachhaltig konzipierten, günstigen Wohnraum.
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 24.12.2015
Ob Willkommens-, Duldungs- oder Restriktionshaltung gegenüber Schutzsuchenden – langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass es mit temporärer „Unterbringung“ nicht getan ist. Es braucht längerfristige Wohnformen, richtige Lebensräume statt Containerverwahrung, wenn die humanitäre Herausforderung nicht zur tatsächlichen sozialen Krise werden soll. Hilfsorganisationen suchen nach Alternativen zu Lagerhallen und Blechkisten. Für gründliche Konzeption und Planung fehlt allerdings bislang die Zeit. Es wird ausprobiert, neue Formen entwickeln sich in der Praxis. Eins dieser Pilotprojekte hat das Rote Kreuz Urfahr-Umgebung soeben in Bad Leonfelden umgesetzt. Ein Areal direkt neben der RK-Ortsstelle wurde von einem benachbarten Betrieb günstig verpachtet, das Gelände von der Straßenmeisterei vorbereitet. Mit einem international tätigen Systemhaus-Hersteller aus Ried wurde eine Mischkonstruktion aus Holztragwerk und Panelbau entwickelt. Einige Punktfundamente tragen dabei die Holzstützen, auf denen die Balken des flachen Satteldachs ruhen. Die Wände bestehen aus ausgeschäumten Blech-Sandwich-Elementen.
„Für uns ist die Bauweise von Vorteil“, erläutert Bezirksstellenleiter Gerald Roth die Leichtbau-Methode. Wenn die Situation wieder abebbe, könnten die Häuser in Einzelteile zerlegt und für künftige Notfälle eingelagert werden. Das Argument ist nachvollziehbar. Ob jemals Ebbe eintritt, ist allerdings fraglich. Denn es gibt ohnehin Bedarf an günstigem Wohnraum, nicht nur in Akutsituationen, nicht nur für Flüchtlinge. Ob die Mehrzahl nun bleibt oder geht, die aktuelle Nachfrage wäre eine Chance, die Vorteile der seriellen, vorgefertigten Bauweise mit Langlebigkeit, Ökologie und ansprechender Gestaltung zu verbinden. Interessante Holzelementbauten oder raffinierte Massivbausysteme könnten entwickelt werden, im besten Fall kombiniert mit Vorschlägen zur Erweiterung und verbesserten Ausnutzung bestehender Siedlungsstrukturen: Flachbauten könnten etwa nach oben wachsen, Baulücken ausgefüllt werden.
Bauen für Menschen
Was in Bad Leonfelden gelungen ist, soll indessen nicht kleingeredet werden. Es wurde versucht, aus einer dringlichen Lage das Bestmögliche zu machen. Nicht nur bauliche Aspekte wurden bedacht. Der Anspruch war, einen Ort zu schaffen, der auch „sozial funktioniert“, wie Roth meint. In anderen Worten: Menschen als Menschen behausen. Das heißt, Raum für den persönlichen Rückzug zu bieten, der in einer krisenhaften Lebenssituation besonders dringend gebraucht wird. Es bedeutet zugleich, Gemeinschaft zu ermöglichen, dass die Bewohner sich treffen, einander erzählen und zuhören können.
Beides gelang durch die sehr einfache aber durchdachte Kreuzstruktur der Hausgrundrisse. Pro Gebäude kommen auf 170m² vier Familien unter. Die Privaträume von je 20m² sind in den Ecken angeordnet. Die Mittelerschließung mit Haupteingang wurde nicht als Flur ausgeführt, sondern ergibt mit vier Metern Breite einen passablen Gemeinschaftsraum im Zentrum. Daran schließt auf der einen Seite eine offene Küche an, auf der anderen liegen zwei Sanitärzellen. Die Satteldachform ermöglicht gegenüber Containerbauten eine angenehme Raumhöhe. Das Holz der Dachträger schafft etwas Behaglichkeit. Bei der Anordnung der drei Häuser wurde darauf geachtet, dass ein nachbarschaftliches Ensemble mit gemeinsamem Vorplatz entsteht. Im Südwesten wurde Humus aufgeschüttet um im Sommer etwas Gartenbau zu ermöglichen.
Zeit für die Herbergsuche
Vorerst ist Winter. Gerald Roth hofft, dass die vier Zentimeter starken Wände die Kälte halbwegs draußen halten und die Heizkosten nicht allzu hoch sein werden. Es ist nicht nur die kälteste, es ist bekanntlich auch die stillste Zeit des Jahrs. Das gilt auch für die Fluchtbewegungen, Neuankünfte nehmen ab. Das gibt Zeit – Zeit zum Nachdenken, zum Planen und Berechnen, ob nachhaltig gebaute, feste Wohnformen nicht für alle attraktiver und auf lange Sicht auch günstiger wären.
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen.