Ein Kulissenstück in 4 Akten anlässlich 20 Jahre afo architekturforum oberösterreich. Auszug aus dem ersten Akt „WUESTE“:
Stadtschreiber: Tobias Hagleitner, Sommer 2014
Einer: „Verliebte finden jeden Ort schön!“
Eine: „Nein, Verliebten ist der Ort wurscht!“
Eine Andere: „Verliebte gehen an bestimmte Orte!“
Es ist doch so: Bedeutung wächst aus dem Zusammenhang. Wenn der Zusammenhang eine Wüste ist, wächst sie umso üppiger. Die Wüste macht aus den kleinsten Dingen große Zeichen. Ein kleiner, einfacher Gedanke wird in der Wüste zur leuchtenden Erkenntnis – ganze Religionen sind daraus begründet. Ich will so weit gehen zu behaupten: Wäre Linz mitten in der Sahara, diese Stadt wäre berühmt für ihre Fruchtbarkeit, die Fülle und das üppige Leben! Weltberühmt! Na gut…
Was ich sagen möchte: In der Wüste wird ein trockener Bericht zum Märchen, der Himmel zum Kosmos, eine mickrige Münze wird zum Goldschatz, ja selbst die heiße Luft verwandelt sich in eine schillernden Oase. Und genau deshalb haben sie El Afo mitten in der Wüste angelegt, in die Leere, in endlose Weite, in Trockenheit und Ödnis eingebettet. Denn in dieser kargen Landschaft entstehen die schönsten und mächtigsten Geschichten, die ich mir denken kann!
Aber: Weil die Wüste bei aller Schönheit mit der Zeit doch ziemlich fade ist, fragten wir in El Afo uns eines Tages – es war ein heißer Nachmittag Anfang Juli – wie eigentlich ein Ort sein müsste, der noch besser ist, an dem sich richtig gut und lange, angenehm verweilen lässt.
Wie auch immer, Folks: Ich weiß nicht, ob es an der sommerlichen Hitze lag, an der verdammten Idee der Wüste oder daran, dass El Afo so nah ans Wasser gebaut ist. Auffällig war jedenfalls, dass sich unsre Gespräche immer wieder um Flüsse und Brücken drehten. Aber lest doch einfach selbst:
[Die folgenden Texte beruhen auf einer Gesprächsrunde vom 11. Juli 2014 zum Thema „Einladende Plätze“ anlässlich des 1. Akts WUESTE der Veranstaltungsreihe „20 Jahre afo architekturforum oberösterreich – Heißer Sommer in El Afo“. Im Saloon von El Afo unterhielten sich auf Einladung von Gabriele Kaiser und Peter Arlt: Anja Aichinger, Gerhard Dirmoser, Gerhard Fischill, Sandra Gnigler, Birgit Kornmüller, Erhard Kargel, Siegfried Meinhart, Edmund Piehler, Leo Schatzl, Petra Stiermayr, Walter Werschnig. Stadtschreiber von El Afo: Tobias Hagleitner]
WANTED: Geschenke aus der Wüste
Wie wird die Geschichte eines Helden/einer Heldin spannend? Manche Drehbuch-Leute sagen: durch das Gefälle zwischen Wollen und Brauchen, englisch WANT and NEED. Zu Beginn gibt es das Wollen, fokussierte Anfangsenergie. Und die Story nimmt ihren Lauf (angenommen irgendwo im Wilden Westen). Doch es gibt unerwartete Aufgaben, Hindernisse und Wendungen. Das gewollte Ziel rückt in die Ferne. Die heroische Entwicklung verschiebt sich hin zum Brauchen. Was gewollt war, ist nicht das, was wirklich nottat.
Aus diesem Stoff ist großes Kino, aber auch das Leben schreibt Geschichten dieser Art. Wer zum Beispiel in der Großstadt lebt, WILL dort meistens etwas, etwa reich, berühmt oder gebildet werden. Dabei ist vielleicht in Wirklichkeit die Wüste das, was Manche wirklich BRAUCHEN: Stille, Zeit, Konzentration – um sich selbst zu finden, um der eigenen Geschichte eine neue Richtung, eine Wendung zu verpassen. Oder, wie Einer sagt: um immer wieder neu zu lernen, was man „tragen“ kann und will; um zu erkennen, was nötig, was entbehrlich ist. Für die Architektur von Straßen, Plätzen, Häusern gilt das genauso: Wird Planung nur am Wollen ausgerichtet, wird das Gebrauchte häufig übersehn.
Das ist das wichtigste Souvenir der Wüste: die Erkenntnis des Brauchens.
Gefühlte Oasen
Wie zur Wüste die Entbehrung, so gehört zur Stadt die Sinnlichkeit. Eine gute Stadt braucht üppig Reize für Hände, Augen, Nase, Mund. Und da spielt eine große Rolle: Kaffee. Die Qualität eines städtischen Platzes wird gern von guten Kaffeehäusern abhängig gemacht (auch wenn manche dabei nicht an Kaffee, sondern an ein Achterl oder Seiterl denken).
Aber was macht eigentlich ein gutes Café aus, sodass es tatsächlich einladend ist, dass gerne dort gesessen wird? „Oasenartig“ – im Bild der Wüste bleibend – muss es sein. Es soll eine geschützte Atmosphäre bilden, sagen sie in El Afo. Es sollte schützen vor klimatischer Unannehmlichkeit – also ein kühlendes Plätzchen mitten in der sommerlichen Hitze, wo auch etwas Grün gedeiht, das Schatten spendet, oder im Winter ein Wärmepol (auch hier wird mit „Feuerstelle“ der Vorzug der Natürlichkeit gegeben). Es sollte außerdem eine gewisse Intimität bieten, die es dennoch zulässt, andern Menschen ungezwungen, zufällig, zu begegnen.
Und was noch? Von vielen mag es überSEHEN werden, wie Einer feststellt, von den Leuten in El Afo nicht: das HÖREN. Gleich dreimal wird die Akustik angesprochen: ein einladender Ort soll gut zu den Ohren sein, ein Ort sein ohne Lärm.
Kein Lärm? Widerstand regt sich im Saloon. Was ist mit dem Wiener Kaffeehaus – nur als Beispiel – dort ist es schließlich auch nicht leise. Die Runde einigt sich auf den „gefühlten“ Lärm. Es kann eben gut laut, sollte aber keinesfalls schlecht laut sein.
Wächst Qualität wie ein Kaktus in der Wüste?
Wiener Kaffeehäuser sind aber nicht nur gut laut. „Sie sind überhaupt ziemlich gut“, findet Eine. Sie sind ein bisschen miefig, nicht so schick. Es sind Räume, die „gewachsen“ sind. Irgendetwas passt ganz einfach, die Menschen fühlen sich dort wohl, und das seit mehr als hundert Jahren. Ein Zweifler meldet sich: „Das heißt, neue Räume können nicht so gut sein? Ich misstraue diesem „Wachsen“ bei Gebäuden, das kann doch nicht alles sein!“ Eine Andere stellt die berechtigte Frage: „Ist es wirklich so, dass ein Platz, an dem man sich wohlfühlt, sich mehr dem Zufall verdankt als der Planung?“
Was ist „WACHSEN“, was ist „ZUFALL“ eigentlich, fragen sich die Leute von El Afo. Und sie denken offenbar schon wieder an die Wüste: Denn dieses „Wachsen“ das sei eine Qualität im Raum, die sich teils aus Möglichkeiten aber viel mehr noch aus Beschränkungen ergibt. „Dass Altstädte so gut funktionieren, liegt an der damaligen Begrenztheit an Raum und Mitteln“, sagt Einer. „Mehr Möglichkeiten“, sagt ein Anderer (und denkt dabei an architektonische Wucherungen in der modernen Zeit), „bedeutet auch mehr Möglichkeiten, daneben zu greifen.“
Dennoch besteht ein Unterschied zwischen einem genügsam, ja demütig sich einpassenden Kaktus in der Wüste und der Entwicklung von Städten und Gebäuden. Nämlich, dass die Menschen dabei noch ein gutes Wörtchen mitzureden haben. Wenn ausreichend mitgeredet wird, wird das „zufällige“ zum PROZESShaften Wachstum. Vielleicht wäre das die eigentliche Qualität architektonischer „GEWACHSENHEIT“.
Gedankenlose Brücken
Allerdings finden sich nicht immer Leute, die bei Räumen wirklich mitreden wollen. Viele interessiert der Raum erst, wenn er nicht mehr funktioniert. Sagen wir zum Beispiel: eine Brücke. „Was ist denn die FUNKTION so einer Brücke?“, lässt sich fragen, wenn sie nicht mehr richtig FUNKTIONIERT. Viele würden meinen: „Dass die arbeitende Bevölkerung ohne nass zu werden von der einen Seite auf die andre kommt!“
Die Leute von El Afo wissen mehr: „Eine Brücke“, sagt da Einer, „ist öffentlicher Raum in bester Lage über Wasser!“ – manchmal in der Größe eines halben Fußballfelds und mehr. Außerdem ist eine Brücke eine technische Skulptur. Der „Fluss der Kräfte“ ist ein ästhetisches Ereignis, die Beanspruchungen des Überbrückens werden in ein elegantes Fachwerk aus Zug- und Druckstäben aufgelöst. Ganz zu schweigen von der uralten Form des Bogens: Seit mehr als drei Jahrtausenden trägt sie Menschen über’s Wasser (vielleicht ist es nicht so übertrieben, dass da Einer vom „kosmischen Gehalten-Sein“ zu sprechen wagt).
Als ein Anderer noch die Licht- und Schattenwirkungen beim Überqueren lobt, unterbricht leicht genervt ein Rationalist: „Daran denke ich doch nicht, wenn ich durchfahre!“
Die richtige Antwort weiß hier nur das Gefühl und Einer spricht es aus: „Aber Du kannst nicht alles DENKEN!“
Zwei Seiten derselben Disziplin
Wenn sich schon bei den angeblich so verbindenden Brücken die Geister und Gemüter scheiden, wie wird es erst bei den trennenden Bauwerken sein: bei Absperrungen, Zäunen, Mauern und Sichtschutzmatten in Efeuoptik? Diese elenden Architekturfragmente, die unbedingt etwas aufhalten, enthalten und festhalten wollen, Räumlichkeit im „menschlichen Maß“ erzeugen wollen. Den Wüsten-Menschen sind diese Dinge eher fremd.
Ins Verhältnis zur Weite der Wüste gesetzt, ist die österreichische „Gegend“ ja insgesamt ziemlich kleinkariert. Allerdings: „Wenn Jeder seinen Rückzug hat“, sagt Einer, „stärkt das die Gemeinschaft.“ Eingezäunte Restflächen im gerasterten Siedlungsteppich sind damit aber nicht gemeint, die trennende Geschoßdecke zwischen den Wohneinheiten eines Hochhauses wohl auch nicht.
Wieder stellt sich neu die Frage nach einer SPHÄRE, die schützt und doch nicht trennt. Letztlich der Kern aller Architektur: die Vermittlungen, die Übergänge, die Kontraste zwischen INNEN und AUSSEN, AUSSEN und INNEN.
Zwiebeln als Zeichen
Das Wort der Philosoph*innen und Künstler*innen: SPHÄRE. Der um den RAUM besorgte Architekt fragt den Künstler nach dem Unterschied. Die Erläuterung führt zu einem sehr großen Zwiebelchen mitten in einem niederösterreichischen Kreisverkehr. Es ist eine „Kunst am Bau“, ein seltsames Gewächs in der vorhandenen Landschaft, eine autonome Position in der bestehenden Struktur, eben eine SPHÄRE im RAUM. Die Riesenzwiebel nimmt sich den Restraum, den das PLANENDE Denken hinterlässt. Die Zwiebel kolonialisiert die Verkehrsinsel als Freiheitsraum für ihren Größenwahn. Sie hat ihr Plätzchen gefunden. Und irgendwie bewundern wir sie dafür und hätten das auch gern. Das ist SPHÄRE.
Spielplätze für Alle
Wer ein Kind erwartet, denkt auch sphärisch. Ein großes INNEN-AUSSEN-Ereignis steht schließlich bevor: Die kleinstmögliche menschliche Sphäre wird verlassen und die große irdische betreten. Um den Schock zu mildern warten Übergangsräumlichkeiten: Brutkästen, Tragetücher, kleine Bettchen, Autositze, Kinderwiegen.
Aber irgendwann sollte das separierte Blasen-Dasein doch ein Ende haben, denkt sich Eine voll guter Hoffnung. Und es stimmt: Warum muss denn ein Spielplatz aussehen wie ein Riesen-Inkubator, eingekastelt und GESCHÜTZT? Was den Raum betrifft, sind doch eigentlich alle gleich, Erwachsene wie Kinder. Sie wollen ihre Plätze finden, erforschen und erobern, Qualitäten, die schon da sind, erkennen und nutzen. Für solche, richtige Spielplätze braucht es in erster Linie eins: Raum, der wie ein kleiner Mensch noch alles WERDEN kann und nicht schon immer fertig ist.
Ja zur Wüste!
Wer allerdings in eingekastelten Spielplätzen denkt, der denkt auch in Sandkästen. Und wer so denkt, der wünscht sich für jede Stadt einen Sandkasten, weil er denkt, ein Sandkasten sei ein Strand und er denkt, eine Wüste sei ein Schrecken, weil kein Kasten drum herum gebaut ist. So jemand gehört sprichwörtlich in die Wüste geschickt, denken die Leute in El Afo.
Die Leute in El Afo schätzen die Wüste, auch wenn nicht Alle vom „Nicht-Gestalten“ überzeugt sind. Einer hat ja recht, der bemerkt, dass auch „LEERE“ definiert sein will. Trotzdem: die Leute von El Afo lieben die Wüste, weil sie wissen, dass die Wüste bei näherer Betrachtung Vielfalt ist. Die Wüste ist eben nicht nur Sand, sondern eine Menge wundersamer Dinge. Sie mögen sie, weil man dort nicht immer etwas kaufen muss, sie mögen, dass sich manches erst ergibt, sie mögen gerade in der Stadt manchmal ein Stück Wüste, weil die Stadt etwas anderes ist als das Land und auch einmal ein Stück WEITE und LEERE gut vertragen kann. Wieder gibt es leises Murren: So schön die Wüste sein mag, sagen Einige: Eigentlich ist doch nur der Platz gut, der auch lebendig ist, belebt ist!
Aber wie macht man das? Einer sagt zum Schluss – und das ist auch sehr richtig: „Es wird viel zu wenig ausprobiert! Einfach mal probieren.“
Heißer Sommer in El Afo | Drehbuch, Regie: afo architekturforum oberösterreich | Stadtschreiber: Tobias Hagleitner | Setting, Requisiten, Verpflegung: kiosque | Texte im Original erschienen in: Nachsatz#5 – 20 Jahre afo | Eigenverlag afo architekturforum oberösterreich, 2014 | 20 Seiten offen broschiert, erschienen als Serie von 4 Heften. Einzelheftpreis: Euro 3,– / 4er-Serie gebündelt Euro 9,-