„Freifläche“ – so wird das, was zwischen Wohnblock und Straße übrigbleibt, von Planenden gern bezeichnet. Selten bedeutet das Grün am Papier echte Freiheit. Vor allem für die Jungen braucht es dringend Planung, die noch Spielraum lässt, Plätze so wie diesen hier in Lustenau.
Tobias Hagleitner | VN / Leben & Wohnen | 15.11.2014
Manche Arten von Raum sind vom Aussterben bedroht: die offene Wiese, die geheime Hütte im Baum, die leerstehende Fabrik mit verlassenen Einfahrten und Laderampen, Hinterhöfe, wo man tschutten darf. Kindern und Jugendlichen fehlen diese Biotope. Gerade so, wie Öko-Nischen für seltene Tiere und Pflanzen auf künstliche Weise möglichst naturnah rekonstruiert werden, müssen die notwendigen Lebensräume für den menschlichen Nachwuchs von den Verantwortlichen in den Gemeinden wieder hergestellt werden.
Dass der Bedarf in Lustenau erkannt wurde, zeigt sich in der engagierten Umsetzung des Spielraumkonzepts, das seit gut zwei Jahren auf Schiene ist. Dabei geht es nicht darum, ein paar Rutschen und Schaukeln mehr aufzustellen. Die Schaffung und Erschließung von Frei- und Spielräumen wird als Querschnittmaterie verstanden: Politisch Verantwortliche, Fachleute der Jugend- und Sozialarbeit, Planer*innen arbeiten dabei zusammen mit der wichtigsten Expertengruppe, der jungen Lustenauer Bevölkerung, an Ideen und Konzepten zur Verbesserung des gemeinsamen Erlebnisraums. Schritt für Schritt werden im Lauf dieses Beteiligungsprozesses Wünsche und Visionen zu realisierbaren Projekten.
Der Anfang Herbst eröffnete Jugendplatz Habedere im Lustenauer Sportpark ist das aktuellste Ergebnis dieser vorbildlichen Planungskultur. In einer Reihe von Workshops wurden Mädchen und Burschen eingeladen, ihre Vorstellungen für das brachliegende Areal neben dem Parkbad einzubringen. Eine öffentliche Skate- und Ballspielplatzanlage sollte entstehen, verknüpft mit einem lässigen Bereich zum Abhängen, Ausruhen und Zusammensein. Von Beginn an standen hervorragende Gestaltungsteams zur Seite. Für die räumlichen Aufenthaltsqualitäten war die Architekturwerkstatt Hugo Dworzak verantwortlich. Ein architektonisch tragfähiges Grundkonzept ist gefragt, wenn viele Beteiligte und ihre Ideen ein Projekt erfolgreich mitgestalten sollen. Bei all den verschiedenen Ansprüchen und Anregungen war es wichtig, dass Projektarchitektin Julia Kick von den vorbereitenden Workshops bis zur Fertigstellung das räumliche Ganze im Blick behielt.
Ein von der Architekturwerkstatt entwickeltes Stahlrahmen-Modul bot sich als räumliche Grundeinheit an, aus der sich ein „Haus“ ganz nach den Bedürfnissen und Vorschlägen der Jugendlichen formen ließ. Das „Lustenau-Modul“, wie Hugo Dworzak den nahen Verwandten der Fracht-Container nennt, ist ein durchdachter Alleskönner: transportfähig, selbsttragend, stapelbar, mit allen nötigen Details versehen, um sich mit baulichen Ergänzungen an Boden, Decke oder Wand verbinden zu können. Die besten Voraussetzungen für eine Architektur, die nicht das fertige, schicke Objekt im Sinn hat, sondern definitionsoffen bleibt, angeeignet, gestaltet und verändert werden soll. Je nach funktionaler Anforderung ist das Bauwerk nun mit textilen Netzen, Blechen oder Platten eingekleidet – ein Erscheinungsbild, das sich mit der Zeit und nach Bedarf noch ändern kann.
Das Gebäude bildet ein selbstverständliches Zentrum inmitten der ausgedehnten Freibereiche. Auf geringer Fläche finden sich Ruhe- und Bewegungsräume von unterschiedlichster Qualität. Ein verschließbarer Bereich, der von der Offenen Jugendarbeit zeitweise geöffnet und betreut wird, enthält Infrastruktur, Limobar und alle möglichen Gerätschaften. Es gibt einen ebenerdigen Verandabereich mitten im Geschehen, eine Treppe, die zugleich Tribüne für die Fußballwiese ist und ein Obergeschoß mit Kunststoffrasen und guter Aussicht.
Es ist tatsächlich „freier Raum“. Dort, wo es Regeln braucht, helfen Bild und Text – nicht als Gebots- und Hinweistafeln, sondern integriert in die Gesamtgestaltung: nah an der Sprache der Jungen, nicht als Anbiederung, zeichenhaft, witzig und stylish. Der professionelle Umgang mit solchen „Details“ verdeutlicht den umfassenden sozialräumlichen Qualitätsanspruch hinter dem Projekt. Das rege Treiben am Platz und im Gebäude gibt dieser Haltung recht.
‚Baukulturgeschichte‘ im Auftrag des vai Vorarlberger Architektur Institut für das Magazin Leben & Wohnen der Vorarlberger Nachrichten.