Schule umbauen bedeutet, Gestaltungswillen und Entfaltungslust gegen eine teils überholte Struktur aus Abgrenzungen, Normen und Mindestanforderungen durchzusetzen. Respekt, wem das gelingt!
Tobias Hagleitner | VN / Leben & Wohnen | 16.02.2013 und 30.11.2013
Im Februar vor etwa 45 Jahren gab es keine „Energieferien“. Die Ölkrise von 1973 war noch einigermaßen fern, die Häuser waren noch nicht „passiv“ und der Beruf des Energieberaters war noch nicht erfunden. Architektur wurde als luftiges Spiel der Baukörper im Licht der Sonne verstanden. Architekt Willi Ramersdorfer (1922–2010) war damals gemeinsam mit seinem Partner German Meusburger in Vorarlberg bereits bekannt für dieses Bauen im Geist der Moderne (z. B. Textilschule/heute Fachhochschule, Alte Naturschau/heute Vorarlberger Architekturinstitut). Die Volks- und Hauptschule für Gisingen Oberau, die von 1966–1971 entstand, war das achte Schulprojekt, das Ramersdorfer mit entsprechend viel Erfahrungswissen und Feingefühl für die schulischen Anforderungen seiner Zeit planen konnte.
Im Februar 2013 führt Architekt Dietmar Walser durch das Gebäudeensemble. Sein Büro, das er seit 23 Jahren mit Erwin Werle in Feldkirch betreibt, gewann in Kooperation mit Architekt Gernot Thurnher den europaweit ausgeschriebenen Wettbewerb zur Generalsanierung und Erweiterung des Schulzentrums, was nach den vielen Jahrzehnten der Nutzung und entsprechend den Anforderungen einer neuen Zeit nötig geworden war. Ein Grund für den Erfolg des Entwurfs dürfte in der analytischen Klarheit liegen, mit der das komplexe Raumprogramm im Gebäudeensemble organisiert wurde. Neben der Neuen Mittelschule für gut 400 Schüler*innen, der Volksschule für knapp 200 und vier Kindergartengruppen, wurde viel Platz für das Vereinsleben geschaffen.
Die Schützen üben hier den kultivierten Umgang mit der Waffe, die Mitglieder des Radfahrclubs trainieren im Kraftraum ihre Waden und auch der Männerchor hat beispielsweise einen Proberaum im Haus. Eine besondere Kooperation gibt es mit dem Alpenverein. Neben der großen Kletterwand in einer der neuen Turnhallen gibt es auch einen Boulder-Raum im Untergeschoß, der von den Schüler*innen mitbenutzt werden kann. „Hier ist jeden Tag bis 22 Uhr Vollbetrieb“, sagt Walser, der sich kaum daran stört, dass die Gestaltung nicht überall bis ins Detail von Architektenhand entworfen werden konnte. „Die Ausstattung haben die Vereine mit viel Engagement und eigenen Mitteln selbst übernommen. Wir haben einfach geschaut, dass die Struktur stimmt.“ – eine angenehm uneitle Haltung der Architekten, die in vielen Bereichen des Gebäudes sichtbar und wirksam wird.
Nicht nur die räumliche Organisation der außerschulischen Nutzungen war eine Herausforderung, auch die passende Art der Trennung und Verbindung der einzelnen Schulteile und des Kindergartens untereinander und mit dem erweiterten Sportbereich wollten gut durchdacht sein. Eine wesentliche Errungenschaft ist die funktionale Präzisierung der Außenbereiche: Im Osten Richtung Hämmerlestraße wird zugefahren und geparkt, der hochwertige Naturraum an der Ill wurde durch den Abriss der alten Schulküche und einer Nebenturnhalle für den Bewegungsdrang der Schüler*innen freigeräumt. Der viel bejammerte Hang der heutigen Jugend zu übermäßiger körperlicher Schonung dürfte in Oberau generell kein Thema sein: Auf den Grundmauern der alten Turnhalle wurde eine großzügige, unterteilbare Halle errichtet, die alle Stücke spielt. Daran anschließend funktioniert im Norden eine weitere Halle auch für größere Events: mit Theke für Ausschank, Zuschauertribünenund Regieraum. Die Konzeption dieser Hallen, die zum leistungsfähigen Mehrzwecksaal für Großveranstaltungen zusammengeschlossen werden können, ist ein Bekenntnis zu Öffentlichkeit und gesellschaftlicher Einbindung, das für die Schulen der Zukunft wünschenswert scheint.
Neben acht weiteren Schulklassen und Unterrichtsräumen der Mittelschule in den beiden Geschoßen über der neuen Turnhalle wurde auch in den Bestandsgebäuden neuer Raum geschaffen. Die Behörden, die mit Augenmaß und konstruktiver Zusammenarbeit am Erfolg des Umbaus nicht unbeteiligt waren, forderten die Brandschutztrennung der offen geführten Stiegenläufe. Das brachte die Architekten auf die Idee, die alten Treppen gleich ganz zu entfernen und stattdessen an die Nordseiten nach außen zu platzieren. Dort konnte jeweils eine Lücke in der Außenform der mehrfach rückspringenden Gebäude geschlossen werden, was den Energiebedarf nun reduziert. Aber noch wichtiger: Wo vorher im Zentrum der beiden Schulen eine Treppe stand, finden sich nun großzügige Atrien mit viel Licht von oben. Diese Aulen fördern den Austausch und das Gemeinschaftsgefühl der Nutzer*innen. Das kommt dem neuen Verständnis von Schule als Ort intensiver Kommunikation und Teamarbeit entgegen.
Direktorin Lissy-Rauch, die mit „Mehrsprachigkeit“ der Volksschule einen wertvollen Schwerpunkt gibt, hebt besonders die neu entstandene Bibliothek mit Rechercheraum als großen Gewinn des Umbaus hervor. Ich frage sie zum Schluss, ob ich schreiben dürfe, dass mir die Ausstattung und Möblierung für eine ansonsten so hochwertige Schule doch sehr dürftig scheine: „Wir suchen noch Sponsoren für mehr Stühle!“, lacht sie mit ein bisschen Ernst, könne ich schreiben.
Neubau für eine Hundertjährige
Wenn Architektur eine gestaltende Disziplin ist, dann die Schule allemal. Gestaltet werden im Idealfall hier wie dort gelungene Beziehungen – zwischen Menschen, zwischen Mensch und Welt. Im BG Gallus wird dieses gemeinsame Anliegen beherzigt. Und das seit 100 Jahren.
Gegen Ende des Jahrs 1912 zeichnete sich eine neue, unverwechselbare Kontur in der Bregenzer Stadtkulisse ab: ein stattliches Schulgebäude war in die Höhe gewachsen, auf dem markanten Krüppelwalmdach eine turmartige Plattform, wie die Spitze auf einem Helm. Architekten aus Stuttgart hatten sich im vorangegangenen Wettbewerb mit einem Entwurf durchgesetzt, der die Stil-Verbindlichkeiten historistischen Bauens bereits ein gutes Stück hinter sich gelassen hat. Waren es damals die Veränderungen durch Industrialisierung und bürgerliche Emanzipation, die eine „Reformarchitektur“ bewirkten, so bringt heute das digitale Zeitalter der Medien und Kommunikation ein neues Selbstverständnis und damit das Bedürfnis nach entsprechender Gestaltung: Transparenz und Öffentlichkeit bestimmen die Beziehungen – gerade junger Menschen – zu dieser aktuellen Welt.
Hätten wir die frisch renovierte Aula des Altbaus nicht soeben über eine Treppe nach unten verlassen, wäre kaum zu glauben, dass die helle Passage hier unter Geländeniveau liegt. „Wir wollten den Thurn- und Taxis-Park nicht durch einen Riegel ausschließen“, erklärt Architekt Matthias Hein die Entwurfsidee seines Büros (damals als Hein-Troy), nicht nur den Verbindungsgang ins Erdreich zu packen, sondern gleich wesentliche Teile des Raumprogramms daran anzugliedern. Zeichnen und Werken entfalten sich nun großzügig zwischen den eingeschnittenen Gartenhöfen. Neben den praktischen Argumenten ist es eine ideelle Errungenschaft, diesen unterschätzten Fächern an der Achse zwischen Alt und Neu viel Raum und Sichtbarkeit zu geben. Ein paar Stufen höher finden wir uns in der Aula des neuen Hauses wieder. Direktor Thomas Mittelberger erläutert die Vitrinenwände, die von den umliegenden naturwissenschaftlichen Lehrsälen bespielt werden: Molekülbaukästen treffen auf ausgestopfte Füchse und Störche, daneben Ergebnisse der laufenden Projektarbeit. Die Ausstellung macht Lust auf das vielfältige Wissen, das hinter den Dingen steckt.
In den zwei Geschoßen darüber finden die etwa 400 Schülerinnen und Schüler der Unterstufe Platz, genau genommen Plätze. Die Klassen sind so um das innenliegende Atrium angeordnet, dass sich in den Bereichen rundherum kleine „Marktplätze“ bilden – ein Wunsch des ehemaligen Direktors Meinrad Pichler, der das Bauvorhaben über viele Jahre vorbereitet und mitgestaltet hat. Verkauft wird natürlich nichts auf diesen Märkten, sondern es wird getauscht und gehandelt: mit Wissen, Ideen und Tratsch. Ist jetzt eigentlich Unterricht oder Pause? Wer konventionelle Vorstellungen von Schule hat, braucht ein wenig Nachhilfe: Die offenen Türen während des Unterrichts sind Konzept und selbst die verschlossenen sind durch ein Fenster mit dem „öffentlichen Raum“ des Atriums verbunden. Die jungen Erwachsenen gehen geschäftig ihrer Wege, hier wird geschrieben, dort recherchiert, in den Klassen konzentrierte Arbeit in der Gruppe.
Es ist die hochwertige Architektur des Hauses, die diese aktive und dennoch ruhige Atmosphäre möglich macht, nicht nur durch die intelligente Raumorganisation, auch durch den bewussten Umgang mit Licht und Materialien. Das Weißtannenholz und der ockerfarbene Lehm-Kasein-Boden vermitteln Wärme und Natürlichkeit. Der Tag dringt durch die weißen Lichthöfe freundlich hell in die Etagen. Die direkte Aussicht ist den Klassenräumen vorbehalten, wo sich breite Fensterbänder in die nach allen Seiten attraktive, beinah lückenlos denkmal- oder naturgeschützte Umgebung öffnen. Wir sehen über den Hof zum alten Schulgebäude. Vor fast genau 100 Jahren, im September 1913, waren die Bauarbeiten abgeschlossen.
Heute ist Direktor Mittelberger froh (und mit ihm wohl die ganze Schule), dass das Bauen ein Ende hat. „Dass das Projekt so gut funktioniert hat“, sagt er, „ist der guten Kommunikation auf allen Ebenen zu verdanken.“ Nicht nur Architektenteam und Schule sind damit gemeint, sondern auch die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) als Bauherrschaft und die Behörden. „Es war von allen Beteiligten der Wunsch da, dass es ein Vorzeigeprojekt wird“, ergänzt der Architekt. Und das, ergänze ich, wäre jedem öffentlichen Bauprojekt zu wünschen.
‚Baukulturgeschichte‘ im Auftrag des vai Vorarlberger Architektur Institut für das Magazin Leben & Wohnen der Vorarlberger Nachrichten.