Es ist Zeit für eine grundlegend andere Mobilität. Zeit, die automobilen Dogmen des vorigen Jahrhunderts hinter sich zu lassen. Linz, Herz des zweitgrößten Ballungsraums und eines der Hightechzentren der Republik, wäre ein idealer Ort, endlich ernsthaft damit anzufangen. Statt die Chance zu erkennen, sind die Stadt und das Land Oberösterreich damit beschäftigt, sich den Weg in die Zukunft mit den Verkehrslösungen der Vergangenheit zu verbauen.
Tobias Hagleitner | Architektur & BauFORUM | 12/2019
In Linz gibt es mehr Arbeitsstellen als Menschen, die hier wohnen. 110.000 Personen pendeln in die Stadt – vier von fünf mit dem Auto. Insgesamt führen werktags gut 280.000 PKW-Wege über die Stadtgrenzen. Trotz der Datenlage, trotz massiver Stauprobleme, trotz der Klimaschutzziele im Verkehrssektor – Treibhausgase bis 2030 um ein Drittel reduzieren, Energieversorgung bis 2050 dekarbonisieren – wird erschreckend wenig unternommen, auf moderne, massentaugliche Fortbewegung zu setzen und das ineffiziente Automobil als Hauptverkehrsmittel in dieser bedeutenden und weiter wachsenden Stadtregion zurückzudrängen. Es sieht nach dem Gegenteil aus.
Sisyphusgeschichte
Das Autobahn-Nadelöhr Bindermichl ist ein bekannter „all time classic“ des österreichischen Verkehrsfunks. Lassen wir die Sisyphus-Geschichte einer Stadt- und Regionalentwicklung, die mit geradezu irrationalem Kraftaufwand am Autowahn des 20. Jahrhunderts festhält, in diesem Linzer Stadtteil beginnen: Einst war der Bindermichl ein Bauerngut. Das wurde 1941 von der Wohnungsaktiengesellschaft der „Reichswerke Hermann Göring“ enteignet, um einer Großsiedlung Platz zu machen. In den späten 1960er-Jahren wurde dann der bereits von den Nazis vorgesehene Zubringer zur Westautobahn hindurchplaniert. Fortan durchschnitt diese Straße, die Mühlkreis Autobahn A 7, dicht bewohntes Siedlungsgebiet der Stadtteile Bindermichl im Westen und Spallerhof im Osten.
Mit dem anschwellenden Verkehr im Lauf der Jahre wurde die Situation für die Bevölkerung im Gebiet immer unerträglicher. Auf Beschwerden wegen der Lärmbelastung wurden erst einmal passive Schutzmaßnahmen gesetzt und Schallschutzfenster eingebaut. „Erst Zwei-, später Dreischeibenverglasung“, wie sich kürzlich Altbürgermeister Franz Dobusch bei einer Veranstaltung im afo architekturforum oberösterreich zur Linzer Stadtentwicklung erinnerte. Es gab dann erfolglose Versuche mit Flüsterasphalt, schließlich wurden Lärmschutzwände hochgezogen. Alles zwecklos. Der Verkehr blieb, der Lärm, die Luftverschmutzung sowieso. Im Nahbereich der Ein- und Ausfallschneise für täglich bis zu 100.000 Fahrzeuge zu leben, war weiterhin ungesund und unerfreulich.
Die große Lösung
Stadt und Land lobten 1996 schließlich einen Ideenwettbewerb aus, um herauszufinden, wie mit dem unliebsamen Stück Autobahn nun effektiv umzugehen sei. Vorgeschlagen wurde eine Unterflurtrasse, die Einhausung sollte der Umgebung Linderung verschaffen. Erst höheres Interesse – in diesem Fall das Interesse der ASFINAG am optimalen Verkehrsfluss „ihrer“ Autobahn – ermöglichte die Finanzierung und Durchführung des Projekts. Am Ende, 2005, gab es um den (gegenüber Schätzungen deutlich gestiegenen) Preis von etwa 150 Millionen Euro auf gut einem Kilometer Länge oben einen Park ohne Lärm und unten einen Tunnel mit derselben und weiter steigenden Menge an Verkehr wie zuvor.
Als Einzelprojekt betrachtet, das zwei Stadtteile durch eine dem Straßenraum abgerungene Grünfläche aufwertet, wieder verbindet und Verbesserungen im Verkehrsfluss bringt, ist die Einhausung Bindermichl ein Erfolg. Als Wirkung im System der Agglomeration aber sind all die Kosten und Mühen nicht mehr wert als ein Schallschutzfenster im System der Siedlung. Das hätte die Politik spätestens nach diesem Großprojekt erkennen können. Der ehemalige Verkehrslandesrat Franz Hiesl kam zur Eröffnung des Bindermichl-Tunnels zu einer optimistischeren Einschätzung. Er sah darin den Startschuss für „die große Linzer Verkehrslösung“. Mit dieser Überschrift ist das aussichtslose Unterfangen in seiner tumben Tragik auf den Punkt gebracht: Eine „große“ Lösung kann eben keine „Linzer“ Lösung sein, schon gar nicht, wenn sie auf den Autoverkehr beschränkt ist.
Neue Milliarden in alte Projekte
Wie ging die Geschichte weiter? Oder besser: Wie nicht? Es wurde zum Beispiel nicht mit nationaler und internationaler Expertise die grundsätzliche Frage geklärt, ob die automobile Schwerpunktsetzung im urbanen Verkehr irgendeine Zukunft hat; es wurde nicht darüber nachgedacht, wie Zersiedlung gestoppt und landesweit eine verkehrssparende Raumordnung entwickelt und gefördert werden kann; es wurde nicht versucht, die betroffenen Städte, Gemeinden und das Land an einen Tisch zu bringen, den Bund in die Pflicht zu nehmen und gemeinsam ganzheitliche, langfristige Mobilitätslösungen für den Ballungsraum zu konzipieren. Es wurde, stattdessen, die automobile Sisyphusarbeit ohne Aussicht auf Erfolg und ohne Ziel mit frischen Geldern fortgesetzt.
So wurde die „Westring“ genannte Autobahn A 26, eine Idee der 1970er-Jahre, als das Auto noch Fortschritt, Freiheit und Glamour bedeutete, zur Jahrtausendwende mit großem Eifer wieder aufgegriffen. Gegen zahlreiche, bestens begründete Widerstände wurde ab 2011 der unvollständige Rest des ohnehin veralteten „Ring“-Konzepts mit Hochdruck zur Umsetzungsreife gedrängt und ist mittlerweile in Bau. Die neue Stadtautobahn wird den Verkehr aus dem Mühlviertel nördlich der Donau umleiten und über eine neue Brücke und durch einen vier Kilometer langen Tunnel unmittelbar beim Linzer Hauptbahnhof mitten ins Stadtgebiet einleiten. Derzeit wird mit insgesamt 668 Millionen gerechnet. Entwickeln sich die Kosten ähnlich wie am Bindermichl – und ausgeschlossen ist das bei einem so komplexen Bauvorhaben nicht, zumal mit Stadt, Land und ASFINAG dieselben Beteiligten am Werk sind –, könnte am Ende annähernd eine Milliarde investiert worden sein; hunderte Millionen in jedem Fall für ein Projekt, das laut Stellungnahme des Lebensministeriums von 2009 keine nachvollziehbare Lösung der Verkehrssituation in Linz herbeiführen und das in seinen Auswirkungen den Zielen des Kyoto-Protokolls entgegenstehen wird.
Transithauptstadt
Aktuell sind neben der Hängebrücke im Donautal, erste Etappe der A 26, auch Bypass-Spuren für die bestehende VÖEST-Brücke in Bau, die nach Abschluss der Arbeiten in wenigen Monaten achtspurig über die Donau führen wird. Weitergehen könnte es dann mit der „Osttangente“, deren Trasse vom Land Oberösterreich diesen Sommer fixiert wurde und derzeit mit etwa 800 Millionen Euro kalkuliert ist. Dieses gigantische Projekt, ursprünglich weiter östlich als Umfahrung für den internationalen Transitverkehr gedacht, wurde, wohl im politischen Irrtum, der pendelnden Bevölkerung etwas Gutes zu tun, nah an die Stadt herangerückt. So führt der Durchstich für eine neue transeuropäische Nord-Süd-Verbindung mitten durch Siedlungsgebiet und Naherholungsräume, wie die überparteiliche Initiative „Kein Transitverkehr in Linz!“ darlegt. Zusätzlicher Schwerverkehr, hohe Schadstoff- und Lärmbelastung wären die Folgen für die gesamte Region, vor allem für die Gemeinde Steyregg und den Linzer Stadtteil Ebelsberg, rund 30.000 unmittelbar betroffene Menschen. Zudem werden mit der Trassenführung unter dem Schiltenberg im Mündungsgebiet der Traun und in den Donauauen hochsensible Natura-2000-Schutzgebiete zerstört.
Gute Vorsätze …
Ob, wie und wann diese Fortsetzungsgeschichte aussichtslosen Reagierens und Ignorierens ein Ende nimmt, ist nicht absehbar. Noch könnte die Region, könnten Stadt und Land einlenken. Wenige Anzeichen deuten in die richtige Richtung: Wie etwa der Rechnungshof in der weitgehend kritischen Beurteilung des Projekts Westring 2012 ausdrücklich „den gleichzeitigen Ausbau des öffentlichen Verkehrs im Großraum Linz“ einforderte, so betont auch der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) in den letzten Monaten die Wichtigkeit dieser Anliegen und zieht dabei sowohl mit Planungsstadtrat Markus Hein (FPÖ) als auch mit der Opposition, vor allem Grünen und NEOS, am selben Strang: der Schienenverkehr in der Stadt und vor allem über die Stadtgrenzen hinaus inklusive Park & Ride seien dringend auszubauen. Und auch das Land Oberösterreich unterstützt derlei Zielsetzungen, zumindest am Papier. Im Herbst 2018 wurde das gemeinsame Mobilitätsleitbild „Kumm steig um“ präsentiert. Darin wird die enge Zusammenarbeit von Land und Stadt dezidiert eingefordert, insbesondere, was den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs betrifft. Die im Leitbild genannten Schienenprojekte, die es für ein effizientes, stadtregionales Netz auf jeden Fall bräuchte, teilen aber ein Schicksal: Sie stecken in der Vorprojekt-Phase fest oder sind überhaupt am Abstellgleis gelandet.
… schlechte Ergebnisse
Während es mit dem Straßenbau munter vorangeht und sich hunderte Millionen öffentlicher Euros vor aller Augen in neue Autoverkehrsträger verwandeln, bleiben die großen Infrastrukturvorhaben zum Ausbau der Öffis vorerst idealistische Phantasie. Eine zweite Straßenbahnachse für den Osten der Landeshauptstadt, die im Kernbereich nur von einer einzigen Schiene erschlossen wird, ist zuletzt in weite Ferne gerückt. Außer einem vereinbarten Finanzierungsschlüssel zwischen Stadt und Land gibt es nichts. Nur die kuriose Diskussion, ob einst ober- oder unterirdisch vorzugehen sei. Der Ersatz für die Eisenbahnbrücke, deren höchst umstrittener Abriss der Bevölkerung genau mit der Bim-Verbindung über die neue Brücke schmackhaft gemacht worden war, wird fertig sein, bevor es konkrete Pläne gibt. Deshalb werden nun als Kompromiss zwei neue Buslinien eingerichtet. Allein das wird vier Jahre Vorbereitung in Anspruch nehmen. Und es ist fraglich, ob die E-Busse abseits der Staubereiche geführt werden können. Als Ersatz für eine neue Schiene wollen Bürgermeister und Planungsstadtrat die Idee ohnehin nicht verstanden wissen. Die Finanzierung eines zweiten Straßenbahnkorridors – ob nun unter oder über der Erde – ist aber vorerst für die hochverschuldete Stadt offenbar nicht darstellbar.
Das nötige Kapital würde sich wohl auftreiben lassen, würde die Landesregierung die Pläne für die „Osttangente“ aufgeben und stattdessen ein Modell ausarbeiten, wie Stadt, Umlandgemeinden und Land gemeinschaftlich ein attraktives, leistungsfähiges Schienennetz der Zukunft mit gut positionierten P&R-Anlagen und Radschnellwegen zustande bringen. Linz ist Österreichs Region mit der höchsten Wirtschaftsleistung pro Kopf, mit einem Viertel der Arbeitsplätze des gesamten Bundeslands. Jede Investition in ein klimafreundliches, zukunftsfähiges Linz wäre eine Stärkung des Standorts und damit ein Schub für die Entwicklung der gesamten Region und ganz Oberösterreichs. Landeshauptmann Thomas Stelzer hat andere Pläne. In einem Wunschzettel, den er VP-Obmann Sebastian Kurz für die Koalitionsverhandlungen unlängst medienwirksam übermittelte, erklärt er das Vorhaben „Osttangente“ zur unumstößlichen Priorität. Ob Wien den Appell aus Linz beherzigen wird, sollte es zu einer türkis-grünen Bundesregierung kommen, bleibt abzuwarten. [Redaktionsschluss 6.11.2019, Anm.]
Klimahauptstadt
Bis Land und Bund zur verkehrs- und klimapolitischen Vernunft kommen, gibt es für eine Stadt wie Linz im eigenen Hoheitsgebiet genug zu tun. Dass alle Gemeinderatsfraktionen Mitte Oktober den Vorsatz gefasst haben, Linz zur „Klimahauptstadt Europas“ zu machen, klingt nach einem Anfang. Ein paar neue Bäume, E-Autos und Fahrradabstellplätze werden aber nicht genügen. Die Stadtplanung und -entwicklung müsste dafür konsequent nach Kriterien verkehrs- und platzsparender Mobilität umgekrempelt werden.
Klimahauptstadt wäre zum Beispiel, wenn die kluge Mischung der Funktionen kurze Wege möglich macht; wenn saniert und nachverdichtet wird, ohne Aufenthaltsqualitäten einzubüßen; wenn die zulässige Dichte der Bebauung von der Dichte an Mobilitätsangeboten vor der Türe abhängt; wenn beim Neubau nicht Stellplatzzahlen, sondern Mobilitätskonzepte verpflichtend sind; wenn die Öffi-Tarife günstig und die Taktfrequenzen hoch sind; wenn sich Gehen und Radfahren im ganzen Stadtgebiet angenehm, sicher und effizient anfühlen; wenn Wohnen für Familien in der Stadt so attraktiv ist wie am Land. Linz ist Klimahauptstadt, wenn es gute Gründe gibt, zur Arbeit in die Stadt zu kommen, aber noch mehr und noch viel bessere, fürs Leben gerne da zu bleiben.