OBERÖSTERREICH. Die Friedens- und Wohlstandsentwicklung in der Zweiten Republik geht einher mit der Entfaltung der freien – und in Österreich bislang mit Stolz hinzugefügt: sozialen – Marktwirtschaft. Die stadträumlichen Veränderungen seit 1945 sind insofern als sozioökonomische Erfolgsstory in Stahl, Beton und Glas zu lesen. Doch wie jede Erzählung hat auch das Nachkriegsmärchen irgendwann ein Ende. Schicksale wie jenes der Nationalbank in Linz, die 2018 geschlossen wurde, lassen es erahnen.
Tobias Hagleitner | Architektur & BauFORUM | 03/2019
Mit der Unabhängigkeitserklärung im April 1945 nahm die Nationalbank ihre Arbeit nach dem Krieg wieder auf. Für den Wiederaufbau mussten die geeigneten wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden, ermöglicht nicht zuletzt durch die materiellen Zuwendungen aus dem Marshallplan. In Linz war das US-amerikanische Konjunkturprogramm als Grundlegung des „Wirtschaftswunders“ nur südlich der Donau wirksam. Der Norden gehörte zur russischen Besatzungszone. Während sich die Bautätigkeit in Urfahr auf das Notwendigste bzw. auf die Fertigstellung von in der NS-Zeit begonnenen Projekten beschränkte, wurde im amerikanischen Einflussbereich der geteilten Stadt ab Ende der 1940er Jahre ein beträchtliches Neubauvolumen umgesetzt. Hier wurde Architektur geschaffen, die einen neuen Geist atmen, die Aufschwungsdynamik, Öffnung und Internationalisierung verkörpern sollte.
Moderne, teils von Amerikareisen der Architekten inspirierte Krankenhäuser, Schulen und repräsentative Niederlassungen wichtiger öffentlicher Institutionen wuchsen in die Höhe. Die Handelskammer von Schlauss, Theer, Lassy (1953), das AEG-Gebäude mit integriertem „Amerika-Haus“ von dem gebürtigen Vorarlberger und wichtigen Linzer Wiederaufbau-Architekten Artur Perotti oder das Postamt mit Busstation am Bahnhof (1947-1955) von Architekt Josef Langhof sind prominente Beispiele (letzteres wurde im März 2018 an dieser Stelle von Georg Wilbertz als gefährdeter Nachkriegsbestand vorgestellt – mittlerweile ist der elegant geschwungene Wartebereich des Busbahnhofs geschliffen worden). Die Errichtung der Zweigstelle der Österreichischen Nationalbank in der Linzer Coulinstraße, fertiggestellt 1953, ist ein wichtiger Stadtbaustein dieser Phase.
Die Architekten des Gebäudes, der Linzer Eugen Wachberger und der Wiener Erich Boltenstern, beide Assistenten bei Clemens Holzmeister, beide von den Nazis suspendiert und nach dem Krieg wieder an der Akademie unter Vertrag, waren als bewährtes Team mehrfach für die OeNB tätig. In Wien und quer durch die Bundesländer schufen sie in den 1950er Jahren Interieurs, Wohn- und Bürohäuser für die Bank. Der vielbeschäftigte Boltenstern, der sich neben der Lehre um den Wiederaufbau der Oper und die Errichtung des Ringturms zu kümmern hatte, überließ Entwurf und Ausarbeitung der Nationalbankprojekte in weiten Teilen dem acht Jahre jüngeren, in Linz verorteten Wachberger. Das Verwaltungs-, Büro- und Wohnhaus für die Nationalbank war eines der ersten größeren Projekte, das dieser in Linz umsetzen konnte.
Prominent nimmt der 7-Geschoßer die Straßenecke ein. In feinen Proportionen schichten sich Sockel, Regelgeschoßkörper und Dachaufbau mit umlaufender Veranda übereinander. Mittig zur Coulinstraße sitzt der Haupteingang mit weit auskragendem Vordach als einladende Geste in den Straßenraum. Wachberger, der seine berufliche Laufbahn als Tischler begonnen hatte, legte besonders viel Sorgfalt und ästhetische Ausdruckskraft in die innere Ausgestaltung seiner Gebäude. Dass viele Möbel, Leuchten und Dekors der Nationalbank all die Jahrzehnte der Nutzung bis zur Schließung im Vorjahr überdauerten, bezeugt die hohe handwerkliche wie ästhetische Qualität seiner Interieurs.
Mittlerweile ist eine Besichtigung des Gebäudeinneren nicht mehr möglich. Im Zuge des Sparprogramms der Nationalbank fiel der Standort einer Optimierungsanalyse zum Opfer. Im April 2018 wurde zugesperrt. Ein Teil des Hauses wird noch von der OeNB-Tochter Geldservice Austria genutzt. Ansonsten herrscht Stille hinter der denkmalgeschützten Fassade. Die Türen sind verschlossen, die Fenster verhangen. Das weitere Schicksal, vor allem der repräsentativen Räume im Erdgeschoß, ist unbekannt. Ein Immobilienbüro wirbt mit Klebeplakaten um Mietkunden für die ehemaligen Dienstwohnungen im Haus, die teilweise schon vor längerer Zeit von der Nationalbank abgestoßen wurden. Dass viele Wohnungen leer stehen, mag auch daran liegen, dass das ehemalige Bankgebäude nicht nur die Originalbelegschaft, sondern zudem seinen Status als städtebauliche Dominante an der Kreuzung eingebüßt hat: Auf der Bauparzelle gegenüber ist der „Lux-Tower“ hochgeschossen, der auf 21 oberirdischen Etagen 126 Wohnungen unterbringt, um dort „Wohnen mit Weitblick“ anzubieten. Seither fristet die Nationalbank ein Schattendasein.
„Die katastrophalen Jahre des Zweiten Weltkrieges hatten Gesellschaft und Politik gelehrt, wie wichtig interessensübergreifende Zusammenarbeit als Grundprinzip eines gemeinsamen Österreichs ist“, steht auf der Website der OeNB zur Unternehmensgeschichte über die ersten Nachkriegsjahre zu lesen. Bauten wie die Linzer Niederlassung der Bank legen nahe, dass diese Phase mit „Wieder-Aufbau“ gerade nicht treffend beschrieben ist, bestand doch vielmehr der Anspruch, die Schaffung neuer gesellschaftlich-demokratischer Strukturen mit den Mitteln einer neuen Architektur und Baukultur zu verbinden und zu unterstreichen. So ist im gebauten Raum dieser Jahre bis heute ein bisschen etwas vom Ideal der „interessensübergreifenden Zusammenarbeit“ zu spüren, das dem damaligen Planen und Bauen zugrunde lag. Die Integration von zeitgenössischen Kunstwerken, die Aufmerksamkeit für die Schnittstelle zum öffentlichen Raum und die damit verbundene, hochwertige Durchgestaltung von Fassaden und Erschließungszonen, aber auch die sorgfältige Auswahl bestqualifizierter Architekturbüros für die Umsetzung städtisch wichtiger Projekte sind dieser Haltung zuzurechnen.
In einer Zeit, in der einerseits die öffentliche Bautätigkeit von Schlagworten wie Kostenoptimierung, Einsparpotenzial und Effizienzsteigerung determiniert ist, in der andererseits das private Kapital immer mehr zur stadtbestimmenden Kraft wird, lässt sich der „verborgene Schatz“ der Nachkriegsmoderne vielleicht gerade in der Betrachtung ihrer kulturellen und geistigen Voraussetzungen heben: Die Erkenntnis, dass die Qualität von Architektur und Städtebau auf die Qualität der gesellschaftspolitischen Werte und Ziele ihrer Zeit angewiesen ist.