Bauten sind Persönlichkeiten. In Summe ergeben sie das Wesen einer Stadt. Achtung, vor zu viel Unfreundlichkeit!
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 03.06.2017
Rechteckig, scharfkantig und viel Glas – das gilt als „modern“. Der seit hundert Jahren schicke Minimalismus wird oft missverstanden. Statt Reduktion aufs Wesentliche gibt es Reduktion auf das Banale. Anhand zweier Neubauten in der Linzer Innenstadt lässt sich das erläutern. Das eine steht am Taubenmarkt, in Schlüssellage an der Ecke von Promenade und Landstraße. Das andere ist im Vergleich dazu in „zweiter Reihe“, als Nachbar des Landesmuseums aber nicht minder zentral und öffentlich relevant. Ihrer Prominenz wegen wurden beispielhaft diese beiden ausgewählt. Wer aufmerksam durch Stadt und Land geht, wird anderswo ähnliche „Typen“ kennen.
Gleichgültige Bauten
Die beiden Objekte sind in Nutzung und Form leicht unterschiedlich. Das eine enthält als Geschäftshaus eine Boutique, darüber Büroflächen. Im anderen arbeitet das Oberlandesgericht. Während das eine mit einer Fassade aus grauem Stein und dunklem Glas verkleidet wurde, erhielt das zweite schwarze Vollverglasung. Beide Häuser haben Qualitäten – das Justizgebäude zeigt sie nachts bei Beleuchtung und ansatzweise hofseitig im Dialog mit dem Bestand, das Haus am Taubenmarkt mag als Shop und Arbeitsplatz gut funktionieren.
In einem Wesenszug sind aber beide negativ zu bewerten: Sie sind vollkommen gleichgültig gegenüber der Straße. Sie befassen sich nicht damit, wie es sich an ihnen vorbeispaziert. Sie interessieren sich nicht für die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, den sie verformen. Sie geben nichts und nehmen viel. Wertvoller Stadtraum wird in nichtssagende, selbstbezogene Büro-, Geschäfts- und Verkaufsflächen verwandelt.
Am Taubenmarkt stand früher ein unscheinbares kleines Häuschen, in der Lederergasse war ein großer leerer Platz mit Baracken und etwas Grün. Beide Orte waren nichts Besonderes, aber sie hatten Charme und Liebenswürdigkeit. Umso deutlicher, dass ihre Stelle nun Immobilien ohne Gesicht, ohne Ausdruck, ohne Freundlichkeit einnehmen. Das ist keine Frage des Geschmacks, sondern eine Frage der Gestaltung.
Ein Haus ist kein Handy
Ein „modernes“ Telefon braucht weder Wählscheibe noch Tasten. Der Apparat von einst ist zur Glasscheibe geschrumpft. Es gibt fast nur noch Oberfläche, weil sich die Anwendungen im digitalen Raum entfalten. So funktioniert das Smartphone. Haus, Straße, Platz funktionieren so nicht. Der „echte“ Raum der Stadt braucht ein Anwendungsdesign, das den gesamten Körper und alle Sinne involviert. Wir wollen Räume, die uns einladen, wir wollen erleben, Material spüren, Strukturen, Licht und Schatten sehen, wir wollen flanieren und uns aufhalten.
Beim Smartphone geht es um „Usability“, also Gebrauchstauglichkeit. Seine intelligente Entwicklung folgte diesem Ziel. Seine reduzierte Erscheinung ist das überzeugende Ergebnis. Gebräuchlichkeit macht schön. Wenn dagegen Architektur recht simpel und glatt, gläsern und gerastert daherkommt, weist das eher auf einen gedanklichen Mangel im Gestaltungsprozess. Einfachheit dient hier als Maske der Einfallslosigkeit. Das nennen wir banal.
Ein Haus ist keine Massenware wie ein Handy. „Usability“ in der Architektur hieße, sich mit dem Ort und den Bedürfnissen der „user“ im und ums Gebäude auseinanderzusetzen. Die daraus folgenden Ideen zur Lage im Stadtraum, zu Lichtverhältnissen, Raumfolgen, Sichtachsen, etc. würden einen bestimmten räumlichen Aufbau nach sich ziehen. Das würde sich in einem bestimmten Ausdruck der Fassade niederschlagen. Das würde dem Haus ein eigenständiges Gesicht und eine Rolle geben. Das gäbe ihm Charakter. Nach diesen Prinzipien wurden Stadthäuser früher gebaut. Nach diesen Prinzipien können sie heute gebaut werden. Solche Häuser mögen wir, solche brauchen wir.
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen.