Schärding hat ein neues „Bezirksalten- und Pflegeheim“. So bürokratisch das klingt, so ist es auch umgesetzt. Architektur ist nur mühsam errungenes Beiwerk.
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 18.07.2015
Das Grundrezept für ein Altersheim in Oberösterreich: Man erhebe den Bedarf, nehme einen genossenschaftlichen Bauträger, leite aus der Pflegeheimverordnung das Raumprogramm ab, ergänze um Normen aus dem Baugesetz sowie Förderrichtlinien und passiere das Ganze durch einen Architekturwettbewerb. Das mag relativ kostengünstig sein und sich nach statistischen Kriterien bewähren. Eine besonders originelle Antwort, wie das Dasein der Betreuungs- und Pflegebedürftigen aussehen könnte, kommt dabei nicht heraus.
Richtige Antworten
Sicherlich wurde in Schärding einiges richtig gemacht. Ein ordentlich durchgeführter Wettbewerb ist immer noch nicht selbstverständlich und deshalb erwähnenswert. Mit Gärtner + Neururer erhielten zudem Architekten den Zuschlag, die schon mehrfach gezeigt haben, dass sie das Bauen von Alten- und Pflegeheimen gut beherrschen und dem engen Korsett an Vorgaben einiges an Qualität abtrotzen. Von diesem Know-how profitiert das Gebäude: Zwei Trakte wurden abgestuft ins Grundstück gesetzt, sodass hinten ausreichend Gartenfläche bleibt und sich nach vorne der Straßenraum vor dem Haus erweitert. Die Gänge enden mit großen Glasflächen zur Belichtung und Aussicht. Brüstungen und Fensterbänke wurden in der Höhe den besonderen Bedürfnissen angepasst.
Die Einzelzimmer sind gut eingeteilt und ermöglichen angemessene Privatsphäre. Das Kontingent an halböffentlichen Flächen für das soziale Leben der Bewohnerschaft wurde geschickt umgesetzt, pro Wohngruppe wurden nach dem Modell der Hausgemeinschaft je eine helle Wohnküche, Aufenthaltsbereich und Loggia eingerichtet. Der Bau erfüllt den definierten Zweck ordentlich, pragmatisch und – je nach Farbgeschmack – auch ganz ansehnlich. Dennoch: Architektur, also gesteigerte Lebensqualität durch den einfallsreichen Umgang mit Raum und Material, kommt deutlich zu kurz. Es fehlt an wohnlicher Atmosphäre, an Verweilräumen, die Geborgenheit vermitteln, an räumlicher Abwechslung. Abgesehen von den individuellen Zimmern stellt sich kaum das Gefühl ein, angekommen zu sein, kaum eine Allgemeinfläche, die sich nicht ein bisschen wie ein Gang anfühlt. Es mangelt aufgrund der Lage an Verbindung mit der Stadt und dem Geschehen in ihr.
Falsche Fragen
Den Architekten ist das kaum anzulasten. Ihre Kompetenz kam erst ins Spiel, als wesentliche Entscheidungen bereits getroffen waren. Wenn die relevante Berufsgruppe im Rahmen eines Wettbewerbs gerufen wird, ist die spannende Frage, wie und wo geeigneter Wohnraum für die Ältesten in einer übermäßig alternden Gesellschaft eigentlich realisiert werden soll, bereits irrelevant. Gefragt wird nur noch nach der besten Lösung für ein isoliertes Teilproblem: Wie bauen wir zum festgelegten Preis ein Heim mit 90 Betten, mit genauen Flächenangaben pro Bewohner, fixen Gangbreiten und definierter Parkplatzmenge so, dass es am Ende nicht ausschaut wie ein Käfig?
Die Menschen werden älter, damit gibt es auch mehr Pflegebedürftige. Das ist eine Herausforderung, die in nächster Zukunft keinesfalls abnehmen wird. Umso mehr müssten alternative Konzepte erprobt werden, wie qualitätsvolles Wohnen für diese immer größer und anspruchsvoller werdende Gruppe gewährleistet und gestaltet werden kann. Architektur könnte helfen, adäquate Antworten zu finden. Dafür müsste allerdings der Rahmen geschaffen werden, in dem das Wissen der Disziplin tatsächlich zum Tragen kommt. Mit den Fördermitteln, die reichlich in Projekte dieser Art fließen, hätte die Politik ein Instrument in der Hand, mit dem sich nicht nur „Bezirksalten- und Pflegeheime“ produzieren ließen, sondern auch neue Ideen, Raumnutzungen, Gebäudetypen.
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen.