Städtische Ensembles sind Erzählungen, die über Generationen weitergegeben werden. Wie ein Text formt der Zusammenhang der Häuser die Geschichte einer Stadt. Daran zu arbeiten, den Stoff zu aktualisieren und lebendig zu halten, das ist eine große Verantwortung – und eine großartige Chance für gute Architektur.
Tobias Hagleitner | VN / Leben & Wohnen | 10.12.2016
Die Neustadt ist ihrem Namen zum Trotz der älteste Teil der Feldkircher Innenstadt. Sie entstand zu Beginn des 13. Jahrhunderts als Hugo I. von Montfort seinen Sitz von Bregenz nach Feldkirch in die Schattenburg verlegte. Unmittelbar am Fuß der hochmittelalterlichen Festung, als prominenter Schlusspunkt für den Neustädter Straßenzug vom Domplatz Richtung Burg, steht die sogenannte „Alte Dogana“.
Die Architekten Bernhard und Stefan Marte haben das Haus im Vorjahr erworben, sorgsam erneuert und im vergangenen Sommer ihren Firmenstandort von Weiler hierher verlegt. Für die lange und wechselvolle Geschichte, die das Haus erzählen kann, zeigen die beiden Brüder viel Respekt und Sinn. „Für uns ist das ein Glücksfall, weil wir seit jeher große Fans von solchen Gebäuden sind,“ schwärmt Bernhard Marte für die Qualitäten historischer Substanz: „Es wird von selber gut, weil es schon bisher gut gewesen ist.“
Die Anfänge des Hauses Neustadt 37 liegen um etwa 1500, als der wohlhabende Bürger Ulrich Putsch, Kammerdiener und Barbier dreier Kaiser (Friedrich III., Maximilian I. und zuletzt Karl V.), hier residierte. Damals war es noch ein Holzhaus auf massivem Sockel. Etwas später gelangte es in Besitz der Stadt, war Kanzlei und Landesarchiv. Mehr als ein halbes Jahrhundert wurde es dann als Hauptschule genutzt. Um 1840 zog das Zollamt ein, was das Erbe des Namens „Dogana“ erklärt, womit ursprünglich das ehemalige Zollhaus in der Nachbarschaft gemeint war, das es seit 1919 nicht mehr gibt. Im frühen 20. Jahrhundert wurde an der Adresse abwechselnd gewohnt, ausgestellt oder gelernt. In den 50er Jahren mieteten sich erneut Finanzbehörden ein, ab 1984 bis zuletzt nutzten unterschiedliche Vereine das Objekt.
Die heutige Form der „Alten Dogana“ hat sich im Wesentlichen durch Baumaßnahmen im 17. und 18. Jahrhundert ergeben. „Die Struktur haben wir fast nicht angegriffen, nur ein bisschen aufgefrischt“, beschreiben die Architekten ihr bewährtes Konzept der Reduktion auf das Wesentliche. Nur die Wandeinbauten, die seit geraumer Zeit das Stiegenhaus vom Rest der Flächen abgetrennt hatten, wurden abgerissen.
Die nunmehr fließenden Übergänge von der Treppe in die Mittelflure und weiter in die daran anschließenden Zimmer kommen der Nutzung als offenes Architekturbüro über fünf Etagen sehr entgegen. Die einzige architektonische Erweiterung findet sich hingegen am Dach. Durch einen großen Trichter aus Stahl kommt Licht in die beiden Mansardgeschoße. Seine abgetreppte Geometrie dient innen als Stiege vom vierten in den fünften Stock, außen am Dach ergibt sich eine gedeckte Terrasse mit exklusiver Perspektive auf die Schattenburg.
Ansonsten wurde mit dem gearbeitet, was schon da war. Das war das edle Gesicht des Hauses, die Fassade, deren blauer Anstrich und Zementmörtel abgewaschen wurden. Stattdessen sorgt Kalkputz nun für noble Blässe. Das waren gut geschnittene Räume von großer Klarheit, die mit hochwertigen Naturfarben in besonders feines Weiß getaucht wurden. Das waren die dunkel gebeizten Hölzer der Vertäfelungen, Fenster und Geländer, die mit den neu eingebauten Böden aus dunkel geräucherter Eiche optimal ergänzt wurden.
Die Entscheidung, alle Installationen und die Heizung im Boden verschwinden zu lassen, trägt zusätzlich zur angenehm aufgeräumten Atmosphäre bei. Auch fix installierte Lichtsysteme an der Decke gibt es nicht, schon gar keine Rasterleuchten, um vermeintlich ideale „Büroverhältnisse“ zu schaffen. Stattdessen entwickelten die Architekten eine eigene Leuchte. Sie besteht aus einem vom Schlosser präzise gearbeiteten Hüllkörper aus Schwarzstahl, der eine LED-Lichtleiste trägt. Diese „Fackeln“ können an die Wand gelehnt, auf den Boden oder Tisch gelegt, durch ein einfaches Stecksystem auch zur Wand- oder Schreibtischleuchte werden. Sie erfüllen den Zweck eines ordentlichen Arbeitslichts, wo immer es gebraucht wird, sorgen aber insgesamt für eine zurückhaltende, nuancenreiche Lichtstimmung, die der Würde des Hauses entspricht und seine Geschichte wirken lässt.
‚Baukulturgeschichte‘ im Auftrag des vai Vorarlberger Architektur Institut für das Magazin Leben & Wohnen der Vorarlberger Nachrichten.