Bauen verbraucht Energie, Rohstoffe und Boden. Schon deshalb ist der vorhandene Vorrat an Gebautem kostbar.
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 10.11.2018
Wie schon beim letzten Mal gibt es auch bei dieser fünften Ausgabe des Daidalos eine eigene Kategorie für Projekte, die die Qualitäten des historischen Raumbestands erkennen, aktualisieren und sinnvoll nutzen. Unter „Wertvolle Substanz“ können Renovierungen, Sanierungen, Ergänzungs- und Erweiterungsbauten eingereicht werden, alle baulichen Maßnahmen, die bestehende Gebäude, Straßenzüge oder Siedlungen intelligent und zeitgemäß reparieren, nachverdichten oder räumlich erneuern.
Flächen sparen, Ressourcen schonen, Umwelt schützen – diese Grundsätze sind nicht nur in Oberösterreich gesetzlich verankert. Dennoch gelingt es weder hier noch anderswo, Zersiedlung und Bodenverbrauch einzudämmen. Politik wie Gesellschaft sehen die Auswirkungen auf Klima, Verkehr und Bodenpreisentwicklung, versagen aber in der Umsetzung der notwendigen Gegenmaßnahmen. Um den Verschleiß von Boden, Landschaft und Rohstoffen zu senken, bräuchte es wirkliches Umdenken und tatsächliches Handeln.
Bauliche Wertschätzung
Öffentliches wie privates Planen und Bauen müssten sich viel engagierter der Erhaltung, der maßvollen Verdichtung und klugen Erneuerung der bestehenden Gebäude und Siedlungen zuwenden. Nur so wird es gelingen, „die bestmögliche Nutzung und Sicherung des Lebensraumes im Interesse des Gemeinwohles zu gewährleisten“, wie es im OÖ-Raumordnungsgesetz so schön heißt. Der Architekturpreis Daidalos versteht sich als Impulsgeber für den baukulturellen Fortschritt in diese Richtung.
Der Wert einer Bausubstanz hat verschiedene Aspekte, zuerst selbstverständlich den Marktwert, der sich im Preis einer Immobilie ausdrückt. Mit Blick aufs Klima zählt eine andere Größe, die „graue Energie“. Der Energieaufwand also, der für Herstellung und Transport eines Bauwerks nötig war (und für dessen Entsorgung einmal nötig sein wird), ist in den Bestandteilen eines Hauses gespeichert. Wenn ein Gebäude in Gebrauch bleibt, werden diese Ressourcen effizient genutzt, statt neu Energie, Material und Grund zu verbrauchen. Ein weiterer substanzieller Wert eines Objekts wird gerne übersehen, weil er sich im Gegensatz zu Kosten und Kennzahlen schlecht beziffern lässt. Er kann nur erlebt oder umschrieben werden – mit Wörtern wie Schönheit, Stimmung, Atmosphäre. Dieser „Mehrwert“ ergibt sich aus der menschlichen, sinnlichen Erfahrung, aus unserer Fähigkeit, Räume oder Orte mit Erinnerungen und Bedeutungen aufzuladen.
Räumliche Erneuerung
Viele Altbauten sind zudem – und das unterscheidet sie von einigen zeitgenössischen Werken – so gebaut, dass sie relativ gut umgebaut werden können. Ihre Struktur ist simpel, die Konstruktion solid. Ob Wohnhaus oder Siedlung, ein Gemeindehaus oder ein Industrieleerstand, es gibt fast immer Qualitäten, die schon da sind und mit guter Konzeption und Planung aktualisiert und noch gesteigert werden können.
Zwei Beispiele können zeigen, wie vielfältig die Potentiale sind, die im Bestand verborgen liegen: Die Riesenwohnanlage Kleiburg (1971) in Amsterdam sah auf den ersten Blick nicht nach „wertvoller Substanz“ aus: schlechte Freiräume, zu wenig Infrastruktur, soziale Probleme. Die niederländischen Architektenteams schafften den Wandel mit einem schlauen Konzept, das auf individuellen Selbstausbau einerseits und hochattraktive Allgemeinflächen andererseits setzt. Honoriert wurde das im Vorjahr mit dem Mies van der Rohe Preis der EU für zeitgenössische Architektur.
Völlig anders in Form, Funktion und Maßstab ist die Neugestaltung der Evangelischen Kirche in Mitterbach (Nö). Ernst Beneder und Anja Fischer, Jurorin des Daidalos 2019, arbeiteten den ursprünglichen schlichten Raumcharakter des mehr als 230 Jahre alten Bethauses heraus und lassen ihn in hochwertiger Materialisierung und mit modernen bautechnischen Maßnahmen zu neuer Wirkung kommen.
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen. Dieser Text erschien im Zusammenhang des Architekturpreis Daidalos der OÖNachrichten, den ich in den Jahren 2016 und 2018 inhaltlich gestaltete, journalistisch begleitete und mitjurierte.