Stellungnahme der Initiative FAIRPLANNING zur Novellierung des Oö. Raumordnungsgesetzes vom 24. April 2020. Fairplanning war eine unabhängige Initiative für faire Stadt- und Raumplanung in Oberösterreich, gegründet im Dezember 2018, Aktionen mit bis zu 160 unterzeichnenden oö. Architekt:innen und Expert:innen.
Idee, Gründungskoordination, Textchef von Fairplanning bis 04/2020: Tobias Hagleitner
Sehr geehrter Herr Raumordnungslandesrat Achleitner, sehr geehrte Landtagsabgeordnete!
FAIRPLANNING hat sich im vergangenen Herbst in einem Offenen Brief zur anstehenden Überarbeitung des Oö. Raumordnungsgesetzes zu Wort gemeldet. Unsere Hoffnung war, mit einigen konstruktiven Hinweisen die Dringlichkeit einer echten Richtungsänderung in der oberösterreichischen Raumplanungspolitik zu unterstreichen und die politisch Verantwortlichen zu einer couragierten und weitblickenden Erneuerung des Raumordnungsgesetzes zu ermuntern. Wir müssen feststellen, dass der vorliegende Entwurf weit hinter den optimistischen Erwartungen zurückbleibt. Die immensen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte – allen voran die Klimakrise – werden wir nur mit entschiedenen gesetzlichen Steuerungsinstrumenten bewältigen können. Die Novelle lässt diese Einsicht nicht erkennen. Der Entwurf scheitert schon an den grundlegenden Zielsetzungen, die Sie vergangenen November (PK: „Der Zukunft Raum geben“) selbst ausgegeben haben, den Raum also künftig „ressourcenschonend, überregional, verdichtet und verfügbar“ neu zu ordnen.
ES FEHLT Klimaschutz als zentrales Ziel der Raumordnung
WEIL die Klimakrise ist unübersehbar die Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Österreich hat sich zudem zur Klimaneutralität bis 2040 verpflichtet. Im Entwurf kommt das Wort „Klima“ nicht einmal vor. Klimaschutz beginnt im Raum – mit energieeffizienter Siedlungs- und Mobilitätsentwicklung! Der raumpolitischen Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs ist ein Ende zu bereiten.
EMPFEHLUNG Umweltbundesamt: „Die Instrumente und Verfahren der Raumplanung sind auf allen Planungsebenen auf ihre Eignung, den Klimawandel zu berücksichtigen, zu prüfen und gegebenenfalls zu optimieren. Die in der österreichischen Strategie zur Anpassung an den Klimawandel und im ÖREK 2011 identifizierten Handlungsempfehlungen für das Aktivitätsfeld Raumordnung sind in Zusammenarbeit mit den raumwirksamen Fachplanungen zügig umzusetzen.“
ES FEHLT ein klares Bekenntnis zu Innenentwicklung statt Zersiedlung
WEIL das Veröden der Ortskerne und das Verkommen der Landschaft weder ästhetisch, noch sozial, noch wirtschaftlich länger hinnehmbar sind. Die Novelle verzichtet auf explizite Definitionen von Siedlungskerngebieten und Siedlungsgrenzen und auf verbindliche, wirksame Instrumente örtlicher Bodenpolitik und Baulandmobilisierung (Bauzwang, Baulandrückwidmung, steigende Infrastrukturabgaben).
EMPFEHLUNG Schweizer Raumplanungsgesetz: „Das Hauptanliegen der ersten Etappe der Teilrevision des RPG ist […], dass die Potenziale zur Siedlungsentwicklung nach innen (= Innenentwicklung) «mobilisiert» werden, indem Baulücken gefüllt, Siedlungen verdichtet, und Industriebrachen umgenutzt werden. […] Gleichzeitig sind überdimensionierte Bauzonen zu verkleinern und Bauzonen dorthin zu verschieben, wo sie gebraucht werden.“
ES FEHLT die dringend nötige Stärkung der überörtlichen Raumordnung
WEIL nur durch engagierte Aufwertung von und Verpflichtung zu interkommunalen, regionalen und landesweiten Konzepten können Flächen sinnvoll gespart, die unvermehrbare Ressource Boden geschützt und hochwertige Landschafts- und Naturräume erhalten werden. Der Sicherung landwirtschaftlicher Vorrangflächen, von Grünzonen und überregionalen Grünkorridoren ist unbedingte Priorität einzuräumen. Nur so können Biodiversität, Ernährungsfähigkeit, erneuerbare Energiegewinnung und Landschaftsqualität (Tourismus! Erholung!) bestmöglich gewährleistet werden.
EMPFEHLUNG Im Vorarlberger Raumplanungsgesetz wurde mit der Novelle 2019 den Bestimmungen zum Räumlichen Entwicklungsplan die „Regionale Abstimmung“ (§10i) als erster Abschnitt im Hauptstück der Raumplanung durch die Gemeinden vorangestellt.
ES FEHLT die Hinwendung zu fachlich fundierter, strategischer Raumplanung
WEIL die Reparatur der Versäumnisse vergangener Jahrzehnte – Stichwort „Aufräumen“ – nicht genug ist. Der Entwurf verzichtet auf tatsächlich geeignete vorausschauende Planungsinstrumente. Die Intention, das ÖEK als strategisches Werkzeug zu stärken, wird verpasst. Die geforderte Raum- bzw. Grundlagenforschung bleibt zahnlos, wenn sie auf klare Definition der Prozesse, Methoden und der zu erarbeitenden Inhalte verzichtet. Nur fachlich vielschichtig informierte, im Idealfall partizipativ entwickelte und transparent kommunizierte Planungsziele und -entscheidungen können eine positive räumliche Entwicklung im Interesse der Allgemeinheit garantieren.
EMPFEHLUNG Strategische Herangehensweise und fachlich begründete örtliche Planung stärken wie z. B. im §21 ROG Steiermark u. a. durch „Sachbereichskonzepte“
FAZIT Der vorliegende Begutachtungsentwurf bleibt in den genannten und in vielen weiteren Themenfeldern all jene Neuerungen schuldig, die aus Sicht von FAIRPLANNING unbedingt notwendig wären. Wir verzichten bewusst auf eine detaillierte Stellungnahme zu einzelnen Abschnitten, Paragrafen oder Textstellen, weil nach unserem Ermessen ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel in der oberösterreichischen Raumordnung dringend angezeigt wäre. Das ist mit der Novellierung des bestehenden Gesetzkörpers selbst bei bestem Willen – von dem auf jeden Fall auszugehen ist und der da und dort im Entwurf auch durchscheint – nicht zu leisten. Wir fordern: Zurück zum Start! Denken wir in einem breiten, offenen Beteiligungsprozess mit allen wesentlichen Interessengruppen, Fachkreisen und politisch Verantwortlichen über eine sinnvolle, zukunftsfähige Planung und Gestaltung Oberösterreichs nach!
Wenn wir als Region und Gesellschaft erfolgreich, zuversichtlich und widerstandsfähig gegenüber den Herausforderungen dieses Jahrhunderts bleiben wollen, müssen wir endlich damit aufhören, eine sogenannte Wirtschafts- oder Standortpolitik von raumordnungs-, gesellschafts- und klimapolitischen Zielen zu entkoppeln. Diese Haltung ist dem vorliegenden Entwurf implizit und durchdringt seine Inhalte bis ins Detail. Die wirtschaftlichen, sozialen, naturräumlichen und klimatischen Bedingungen sind aber nicht unterschiedliche Kategorien oder Funktionen im Raum, sondern Facetten ein und desselben Lebensraums, unseres menschlichen Habitats. Ein zukunftsfähiges oberösterreichisches Raumordnungsgesetz (oder besser: Raumplanungsgesetz) sollte diese Gesamtheit begreifen, gesetzlich adäquat fassen und damit zum Wohl der Allgemeinheit sinnvoll gestaltbar machen.
Die unabhängige Initiative FAIRPLANNING, am 24. April 2020