Nicht nur als Europäische Kulturhauptstadt bietet sich Pilsen zum Vergleich mit Linz an. Es gibt einen großen alten Platz im Zentrum, ein neues Theater am Rand des Geschehens und einen Campus weit draußen.
Tobias Hagleitner | OÖNachrichten (online) | 24.10.2015
Was für das oberösterreichische Linz die voestalpine, ist für das westböhmische Pilsen Škoda. Die heurige Kulturhauptstadt in Tschechien ist genauso industriell geprägt, nur wenig kleiner und wie Linz in Sachen Architektur mit etwas Wohlwollen durchaus interessant.
Wer sich über das Linzer Musiktheater schon genug geärgert hat und sich gern weiter ärgern möchte, dem sei in Pilsen (oder: Plzeň) zuerst der Besuch des neuen Stadttheaters empfohlen. Das Projekt einer portugiesisch-tschechischen Architektengemeinschaft musste offenbar rechtzeitig für die Kulturhauptstadt aus dem Boden gestampft werden. Eine Betonburg in haarsträubendem Orangeton. Den Haupteingang verstellt eine beliebige Käsefassade aus Kunststein. Rundherum nichts als Straßen, Geleise und Brachland. Ob die erhoffte Aufwertung für das Viertel mit diesem Bau zu schaffen ist, bleibt abzuwarten.
Erfreulicher ist die Umnutzung des ehemaligen Bus- und Tramdepots am Flüsschen Radbuza. Mit geringen Mitteln wurden die lichtdurchfluteten Hallen etwas renoviert und werden nun als „DEPO2015“ mit buntem Kulturprogramm bespielt. Im Hof gibt es eine Skulpturenausstellung, ein einladendes Café dient als Anziehungspunkt auch abseits des Programms. Die Offenheit und Improvisationsgabe, die diese Institution vorerst ausstrahlt, ist den Linzer postindustriellen Leerständen ebenfalls zu wünschen. Schön für Pilsen wäre es, wenn die Bespielung auch nach dem Kulturhauptstadtjahr erhalten und gefördert würde.
Ein paar Kilometer außerhalb, eingebettet zwischen Industrie und Gewerbe ist der Campus zu finden. Das neue Gebäude des mittlerweile verstorbenen Prager Architekten Jan Štípek für die Design- und Kunststudien der Ladislav-Sutnar-Uni wurde eben erst fertiggestellt. Es sieht selbst aus wie ein Gewerbebau, ganz aus Trapezblech, Stahl und Glas. Die Studierenden arbeiten in einer fabrikähnlichen Halle. Trennende Wände gibt es nicht. Die Idee ist es, gemeinsam und in engem Austausch kreativ zu sein. Das Konzept ist spannend, etwas unterkühlt und akustisch vermutlich schwer zu ertragen, wenn Hochbetrieb ist.
Weitere Highlights? Für unerschütterliche Adolf-Loos-Fans sicherlich seine edlen Wohnungsinterieurs aus den 1920er Jahren, die als Teil des Kulturangebots zu besichtigen sind. Traditionelle Typen werden die fein erhaltenen Renaissance- und Barockfassaden in der Altstadt mögen, etwas progressivere das mutig dazwischen komponierte Kontrastprogramm aus Bauten der Moderne schätzen. Romantische und Verliebte werden an der Radbuza spazieren gehen und dicht an dicht vier Brücken in harmonischem Nebeneinander finden: je eine für Bahn, für Autos, für Fuß- und Radverkehr. Insgesamt ein Jahrhundert Ingenieurbaukunst in einem Bildausschnitt. Jede Konstruktion steht für sich, wurde aus verkehrstechnischen Anforderungen, den Gegebenheiten des Materials und nach den technischen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit gestaltet und geformt. Prädikat: Empfehlenswert!
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen.