LINZ. Ein Zwölftel des Jahres beherrscht Christkindl-Themenarchitektur Straße, Park und Platz. Eine vorweihnachtliche Betrachtung zur Verstandelung unserer Städte.
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 13.12.2014
Alle Jahre wieder: mit Leuchtmitteln und Tannenreisig behangene Stromkabel und blecherne Blasengel in der Luft, auf dem Boden eine unübersehbare Zahl von Standln und Hütten der diversen Adventmärkte. Ihre Architektur schöpft aus dem reichen Formenschatz an religiösen Motiven, volkstümlichen Traditionen und der Erzählwelt des Marketings, die sich um das Weihnachtsfest angereichert haben.
Temporäre Hüttensiedlungen breiten sich in der Standlhauptstadt Linz genauso aus wie auf dem Welser Stadtplatz. Sie sind in der „Christkindl-Region“ Steyr zu finden, aber auch in Freistadt, Gmunden oder Ried. Manche lieben, andere hassen sie. Fakt ist, dass die Weihnachtsmärkte so viele Menschen an die städtische Frischluft locken, wie das selten sonst der Fall ist. Trotz Nebel und Kälte ist die Stadt belebt, Jung und Alt verabreden sich im „öffentlichen Raum“, es wird flaniert und verhandelt, es herrscht herzerwärmendes Gedränge. Es wäre zu einfach, die belebende Wirkung alleine Punsch und Glühmost zuzuschreiben. Was ist das räumlich-ästhetische Erfolgsgeheimnis der Christkindl-Architektur? Was haben diese inszenierten Räume, das die „echte“ Stadt nicht hat? Das sonst so harte Licht ist in glitzerndes Leuchten verwandelt, über dem Pflaster der Straße das weiche Stroh. Die Stadt hat in den Hintergrund zu treten, lediglich barocke Schauseiten dürfen zart illuminiert als Kulisse herhalten.
Die Verniedlichung der Stadt
Der Rest der urbanen Wirklichkeit wird in diesen Wochen ausgeblendet, zur Schneekugel verkleinert oder zur naiven Malerei verniedlicht. Die Verdörflichung des Städtischen ist Teil des christkindlichen Raumprogramms. Bei allem Verständnis für das Bedürfnis nach mehr Überschaubarkeit und „menschlicherem“ Maßstab: Die oberösterreichischen Städte haben hochwertige Altstadt-Räume. Würden die bestehenden – teils leerstehenden – Läden und Lokale mit einigen ergänzenden Angeboten auf der Straße räumlich geschickt verwoben, wären diese Qualitäten ohne Scheinwelt zu haben. Weihnachtsmärkte dieser Art wären eine Gelegenheit, die Augen zu öffnen für das Liebliche und Liebenswürdige an der tatsächlich vorhandenen, „echten“ Stadt.
Harmlose Heimatlichkeit, Nostalgie und Gemütlichkeit sind essentiell im Christkindlgeschäft. Und welches Material ist derart heimelig? Selbstverständlich Holz. Die gemütliche Hütte ist aus Holz (nebenbei: die Hütten auf dem Linzer Hauptplatz bestehen unter der Oberfläche aus 35 Tonnen Stahl). Das Vorbild Berghütte wird bis gegen Unkenntlichkeit pervertiert und kommt im Durchschnitt irgendwo zwischen Schlepplifthäuschen und alpenländischer Schneekrippe zu liegen. Verbindendes Erkennungsmerkmal sind die Holzverschalung in möglichst rustikaler Verarbeitungsweise und verschnörkelte Giebelgesimse als Zier. Schade nur, dass dieses für die Stimmung so wichtige „Holz“ fast ausschließlich in geschändeter Form zu finden ist, dick lackiert und überall dort verschlagartig aufgeschraubt, wo es gerade passend scheint. Das hochwertige Material, aus dem Jahrhunderte überdauernde Möbel, Wohnbauten und Industriehallen errichtet werden, hat damit nichts zu tun. Der Christkindlmarkt wäre idealer Ort der Vermittlung dieses Baustoffs – konstruktiv, in seiner Wirkung am gebauten Objekt, nicht zum sinnentleerten Dekor degradiert.
Stadt mit allen Sinnen
Es liegt nicht nur an Form und Material. Die besondere Anziehungskraft geht vom sinnlichen Angebot der Weihnachtsstädte aus: verlockende Klänge und Düfte, die Sichtbarkeit menschlichen Schaffens, der Reiz einer Wärmequelle mitten in der Kälte, Schauen und Gesehenwerden, das zwischenmenschliche Drängen und Beieinandersein. All das, was die „normale“ Stadt oft zurückdrängt und versteckt, ist hier erlebbar. Die Standlstadt hat mehr Sinnlichkeit zu bieten. „Etwas mehr Sinnlichkeit“ – das gehört auf den Wunschzettel an die richtige Stadt.
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen.