OBERTRAUN. Ein Gruß von der Seethalerhütte am Fuß des Dachsteins, höchste und südlichste Architekturneuigkeit des Landes.
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 07.09.2019
Von ewigem Eis kann keine Rede mehr sein. Allein in diesem Jahr wird der Gletscher am „Dach“ des Landes wieder zwei Meter durchschnittlicher Eisdicke verlieren. In zwanzig Jahren könnte er Geschichte sein. Auf Gestein ist auf Dauer genauso kein Verlass. Die Erosion wird vom Klimawandel noch beschleunigt. Aktuelles Stichwort: Rückgang des Permafrostes. Genau davon war die alte Hütte an der Dachsteinwarte gefährdet, drohte in eine Doline abzusacken. Der Bausubstanz hatte der Zahn der Zeit ohnehin bedenklich zugesetzt.
2015 beschloss der Alpenverein Austria, einen Ersatzbau an geeigneterem Standort zu errichten. Um den komplexen Anforderungen – Naturschutz, Tourismus, Sicherheit, etc. – an eine moderne, hochalpine Schutzhütte gerecht zu werden, wurde im Frühjahr 2016 ein Architekturwettbewerb durchgeführt. Unter den elf Einreichungen zeichnete sich ein Projekt durch klare, flächensparsame Organisation der Funktionen im äußerst kompakten Baukörper besonders aus. Zum Sieg verhalf den dreiplus Architekten zudem die vorteilhafte Positionierung im Gelände, die ohne grobe Veränderungen der Topografie auskommt und für die gewünschte Winternutzung ideal ist. Im Sommer 2017 wurde mit dem Bau begonnen und nach nur zwei Jahren bzw. neun Monaten Bauzeit konnte die neue Seethalerhütte, trotz logistischer und klimatischer Herausforderungen der extremen Lage, in Betrieb genommen werden.
Sinnvolle Form
Wilfried Schrempf und sein Team haben nun den Höhepunkt der ersten Sommersaison im neuen Gebäude hinter sich. Bei Präsentation der Pläne sei von manchen noch geschimpft worden, erzählt der Hüttenwirt, und auch er habe die Form erst einmal hinterfragt. Überzeugend sei aber schon allein die Technik gewesen, ganz abgesehen davon, dass sich die Architektur mittlerweile im Gebrauch bewährt und bei den Gästen sehr gut ankommt. Womit die erste Lektion ins Tal geschickt werden kann: Die Form ist hier nicht beliebig, sondern Folge der intensiven Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Orts. So ist die Südfassade für die Photovoltaikanlage optimiert, das macht die Hütte energieautark. Und die anderen Fassadenflächen sind geneigt, um zusätzlich zum Dach ein Maximum an Niederschlägen aufzunehmen, wodurch fast der gesamte Trink- und Brauchwasserbedarf gedeckt wird.
Eine zweite Anregung, von hoch oben über dem Siedlungsteppich: Architektur kann sich einpassen, auf eine Landschaft reagieren, sodass sie fast verschwindet. Etwas mehr Gebäude-Mimikry stünde auch dem Flachland zu Gesicht. Die Seethalerhütte fügt sich jedenfalls mit steingrauem Fassadenkleid und kristalliner Kontur bestens in die Karstumgebung, wobei der felsenhafte Eindruck aus der Nähe wegen der Kleinteiligkeit der gekanteten Fassadenpaneele leider nachlässt.
Umsichtige Gestaltung
Gelernt werden kann ein drittes: Die Seethalerhütte ist innen praktisch, gastlich und gemütlich, von der Haustechnik bis zur Raumbeschriftung wurde bis ins Detail gut überlegt. Unnötiges aber gibt es nicht. Die Gestaltung ist schlicht und aufs Wesentliche reduziert. Schließlich ist es die Natur rundherum, weswegen dieser Ort aufgesucht wird, warum hier überhaupt gebaut wird. Der Wert eines Bauplatzes ergibt sich aus der Qualität der Umgebung, das gilt im Dauersiedlungsraum genauso wie im Hochgebirge. Diese Qualität bestmöglich zu nutzen, zu schätzen und im Idealfall noch zu steigern, das tut jedem Bauwerk gut und kommt trotzdem selten vor. Der Seethalerhütte gelingt es mit bewusst gesetzten, großformatigen Fensternischen, mit der gesamten Positionierung und Ausrichtung des Gebäudes im Gelände.
Das vierte und letzte Lernangebot der Seethalerhütte hat dreiplus-Architekt Thomas Heil zu bieten. Was nimmt er mit ins Tal? „Wie wichtig es ist, mit den vorhandenen Ressourcen sinnvoll und effizient umzugehen und nachhaltig zu planen – für die Umwelt, aber auch im Sinn der Langlebigkeit und Zeitlosigkeit eines Gebäudes.“
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen.