Zwischen den Gebäuden ist der gemeinsame Raum der Stadt, des Dorfs, der Siedlung. Seine Qualität entscheidet über die Qualität des öffentlichen Lebens.
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 26.11.2016
Wenn über Architektur geredet wird, steht meist das einzelne Objekt im Mittelpunkt, das schicke Wohnhaus, der prächtige Kulturbau, der stolze Büroturm. Dabei ist das alles halb so wichtig. Mit „Freundlicher Freiraum“ hebt der Daidalos jene unterschätzte und oft vernachlässigte Kategorie des Planens und Bauens hervor, die sich um den Raum dazwischen kümmert. Es geht um Projekte zur Ortskernbelebung, um Platz- oder Parkgestaltungen, die die Entwicklung eines Ortes prägen und zum Besseren verändern. Gefragt sind aber auch Gebäude, die ein Ensemble ergänzen und aufwerten, die den Straßenraum angenehmer machen oder attraktive Höfe und Gärten bilden. Mit dem Wörtchen „frei“ ist die wichtigste Qualität bereits auf den Punkt gebracht: Ein freundlicher Frei-Raum ist einer, der zulässt statt verbietet, der ermöglicht statt verhindert, ein Raum, in dem nicht jede Nutzung peinlich definiert und reguliert ist. Freiraum ist dort, wo noch Platz ist für eigene Ideen und kreatives Handeln, für ein bisschen Spaß.
Wichtig für Groß und Klein
Das Problem: Echte Freiräume sind vom Aussterben bedroht. Die offene Wiese, die Brachfläche, das Waldstück, die leerstehende Fabrik – vor allem Kindern und Jugendlichen fehlen diese Biotope. Gerade so, wie Ökonischen für seltene Tiere und Pflanzen auf künstliche Weise möglichst naturnah rekonstruiert werden, müssen die notwendigen Lebensräume für den menschlichen Nachwuchs wiederhergestellt werden. Im Wohnbau gibt es statt Freiheit meist nur einen öden Rasen, drei traurige Birken, Schaukel, Rutsche, Sandquadrat. Dabei müsste gerade dort attraktiver Freiraum als Ausgleich zur dichten Wohnnutzung selbstverständlich sein. Der Daidalos bietet die Gelegenheit, positive Beispiele aus Oberösterreich vor den Vorhang zu holen.
Nicht nur Heranwachsende brauchen attraktiven öffentlichen Raum, um sich wohlzufühlen. Auch die Großen haben ein Recht darauf. Die Plätze einer Stadt, die Parks und Märkte, die Ortskerne der Dörfer sind Schnittstellen der Gesellschaft. Keine Socialmedia-Plattform wird das so schnell ersetzen können. In diesen Räumen sieht man sich und tauscht sich aus, unterschiedliche Gruppen treffen aufeinander, es kommt auch zu Reibung und Konflikten. Architektur kann das nicht verhindern, aber sie kann dafür sorgen, dass Begegnung überhaupt stattfindet. Sie kann mit freundlicher Atmosphäre zum positiven Lebensgefühl beitragen. Sie kann einem Ort und seiner Bewohnerschaft Aufgeschlossenheit und demokratische Haltung vermitteln.
Belebende Impulse
Ob sich der öffentliche Raum freundlich und frei anfühlt, das liegt auch am Umgang mit dem Verkehr. Dass ein Ort zu neuem Leben erwachen kann, wenn die Automobile erst einmal verbannt sind, lässt sich an vielen Beispielen hierzulande und weltweit beobachten (besonders imposant Seoul, wo eine Stadtautobahn rückgebaut und in einen Park verwandelt wurde). Umgekehrt gibt es gerade in Oberösterreich das Problem der Verödung von Gemeinden, die durch Umfahrungsstraßen und Fachmarktkorridore vom Handelsstrom abgeschnitten werden und dann mangels Frequenz ihren Kern und ihre historische Bedeutung verlieren. Gerade in diesen Orten ist der bewusste Umgang mit dem öffentlichen Raum besonders wichtig. Professionelle Gestaltung kann die nötigen Impulse zur Wiederbelebung bringen. Manchmal fehlen die Mittel, um eine Verbesserung dauerhaft herzustellen. Stattdessen wird mit einer temporären Maßnahme zumindest für kurze Zeit der erwünschte Zustand erprobt. Auch solche Architektur-Projekte können eingereicht werden.
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen. Dieser Text erschien im Zusammenhang des Architekturpreis Daidalos der OÖNachrichten, den ich in den Jahren 2016 und 2018 inhaltlich gestaltete, journalistisch begleitete und mitjurierte.