LINZ. Wem schadet, wem nützt es? Die weise Gewichtung verschiedener Interessen müsste jedem Bauprojekt vorangehen. Je höher das Haus, umso größer die Verantwortung.
Tobias Hagleitner | OÖNAchrichten | 20.06.2015
Ihre gebirgshafte Präsenz beeindruckt, sie bieten Orientierung, das Panorama lockt. Für das Kapital sind sie interessant: Bis zu einer gewissen Höhe ermöglichen Hochhäuser die ökonomisch optimierte Ausnutzung wertvoller Stadtfläche. Es ist nicht wahr, dass sie zum dauerhaften Aufenthalt für Menschen nicht geeignet wären, zu Vereinsamung, Krankheit und Entfremdung führen, wie Kritiker behaupten. Da müsste das säuberlich umzäunte Einfamilienhaus am Land mindestens so verdächtig sein. Hochhäuser sind nicht das Problem. Hinterfragt werden müssen die Umstände ihrer Entstehung: Wo wird gebaut? Ist städtebauliche Integrität gegeben? Wer profitiert vom Turmhaus? Was hat die Allgemeinheit davon? Genügt die Architektur höchsten Ansprüchen? Die besondere Größe der Bauform erfordert die besonders gründliche Klärung und transparente Vermittlung dieser Fragen.
Bei den „Towers“, die jüngst in Linz emporschossen, blieb das aus. Sie zeigen, wie es nicht sein soll. Das Bahnhofsviertel wurde bestenfalls aus der Vogelperspektive durchgedacht. Unten ist eine Erdgeschoßzone entstanden, die mit zeitgemäßer Urbanität nichts zu tun hat. Verflochten vom Straßen- und Parkplatzgewirr am Boden zeigen die Bauklötze ansonsten keinerlei Zusammenhang. Wer sich zu Fuß vom Wissensturm über Kärntnerstraße und Bahnhof-„Platz“ in den Eingangsschlurf des Finanzamts durchkämpft, weiß, wovon die Rede ist.
Zweifelhafte Ikonen
Hochhäuser gelten seit jeher als Verkörperung von Fortschritt und Moderne, als Beweise wirtschaftlicher wie sozialer Dynamik einer Stadt. Waren die ersten Häuser dieser Art im Linz der 50er-Jahre Wahrzeichen des Wiederaufbaus, scheinen sie heute Metropolenglanz für die Mittelstadt zu versprechen, ein Stückchen Welt für die Provinz. Wenn in Krisenzeiten die symbolischen Qualitäten ins Wanken geraten, wird mit Sachzwängen argumentiert: Das Wachstum der Stadt erfordere höhere „Dichte“, Hochhäuser seien nötig, um den Standort für Investments attraktiv zu halten oder bedeutende Unternehmen verlangten nach Flächen im Büroturm. Kommunale Planungsgremien und Gestaltungsbeiräte stimmen die bekannten Hochhaus-Mantras an von städtebaulich wichtigen „Dominanten“ und identitätsstiftenden „Torsituationen“. Nichts davon ist ganz falsch. Wesentlich ist allerdings: All die Argumente führen nicht zwingend zu Hochhäusern, zumal wir in Linz ohnehin von Schrumpferln unter der 100-Meter-Marke sprechen.
Es ist nicht New York, nicht Dubai oder Guangzhou. Die Stadt kann sich auf anderem Weg Geltung, Bildwirksamkeit und Mehrwert schaffen. Mehr Kreativität beim Planen und Bauen ist gefragt. Statt 15 Geschoße auf einen Diskonter am Bulgariplatz zu packen, könnten all die Supermarkt-Flachbauten dieser Stadt um zwei bis fünf Geschoße wachsen. Statt marktverzerrenden Büroraum hochzuziehen, braucht es Erhebungen zum tatsächlichen Leerstand von Büro- und Wohnflächen und Konzepte zur verbesserten Raumauslastung. Es müsste darüber nachgedacht werden, wie im inneren Stadtgebiet durch maßvoll höheres Bauen attraktiv nachverdichtet werden kann und welche baurechtlichen Rahmenbedingungen dafür notwendig sind.
Hochhaus mit Konzept
Wenn schon Hochhaus, dann bitte gut: durchmischte Nutzung, der Sockel freundlich und durchlässig, öffentlich zugänglich. Und warum nicht aus heimischem Holz gebaut (wie 2012 in Vorarlberg oder demnächst in der Wiener Seestadt Aspern)? Für die künftige Umsetzung von Hochhausprojekten braucht es ein verbindliches stadtübergreifendes Konzept, das festlegt, wo unter welchen Bedingungen ein solches Bauwerk entstehen darf und welche Gegenleistungen von den Investoren aus den erwirtschafteten Mehrgewinnen für die Öffentlichkeit erbracht werden müssen. Von München könnte sich Linz das Konzept der sozialgerechten Bodennutzung abschauen, vorbildliche Richtlinien für die Planung und Beurteilung von Hochhausprojekten hat sich die Stadt Zürich verordnet.
In fünf Jahren als Architekturkritiker der OÖNachrichten, von 2014 bis 2019, sind insgesamt rund 70 Beiträge erschienen.