Wer sich häuslich einrichtet, hat manchmal heimlich einen Wunsch: Dass alles so oder so ähnlich bleiben möge, wie es ist. Der Traum wird in Beton gegossen und mit Mauerwerk umhüllt, eine Momentaufnahme legt die Zukunft fest. Die einzige Konstante im Leben allerdings ist die Veränderung. Wer neu baut, sollte schon ein bisschen daran denken. Wer umbaut, kann davon erzählen.
Tobias Hagleitner | VN / Leben & Wohnen | 14.10.2018
In den 1950er Jahren wurde das Haus in Lauterach vom Großvater errichtet, Anfang der 1980er übergab dieser es an einen seiner Söhne. „Papa hat es dann umgebaut, als ich ein Kind war,“ erklärt der Bauherr, „und jetzt, gut drei Jahrzehnte später, haben wir es übernommen und saniert. Der gleiche Prozess noch einmal.“
Das klingt so selbstverständlich, als wäre der reibungslose Wechsel von der einen auf die andere Generation gang und gäbe. Das ist leider nicht der Fall. Viele Häuser bleiben Jahrzehnte zu wenig genutzt oder stehen völlig leer, weil nicht entschieden wird, ob und wie eine Übergabe oder Aufteilung zugunsten erwachsener Kinder und deren Familien erfolgen soll. Stattdessen wird neu gebaut oder gekauft. Das ist weder individuell noch gesamtgesellschaftlich ideal. Einerseits droht die Gefahr der Vereinsamung und Überforderung der älteren Generation, die nach dem Auszug der Kinder in zu großen, arbeits- und kostenintensiven Häusern leben, andererseits lasten Grunderwerb und Neubau den jungen Familien hohe Schulden auf. Jede Nutzungsintensivierung und Aktualisierung bestehender Substanz hingegen ist auch ein kleiner Gewinn im Kampf gegen den Klimawandel: Im Bauwerk gebundene Ressourcen werden effizient weitergenutzt statt neue Energie, Material und Boden zu verbrauchen.
Bei diesem Haus wurde rechtzeitig gehandelt. „Wir waren auf der Suche nach Wohnung oder Haus“, erzählt die Bauherrin, „da kam der Vorschlag von den Schwiegereltern, dass sie in eine Wohnung ziehen und das Haus uns überlassen.“ Das Gewohnte nach so vielen Jahren aufzugeben, ist ein Schritt, der Aufgeschlossenheit und Überwindung braucht. Dieser Mut war vorhanden und dem Aneignungsprozess durch die nächste Generation stand somit nichts im Weg.
Die bauliche Grundform des Hauses wurde, wie schon beim Umbau in den 1980ern, weitgehend beibehalten. Etwas Dämmung und das eine oder andere Fenster kamen dazu, die Läden weg. Die wesentliche Änderung betraf die räumliche Organisation des Erdgeschoßes und die damit verknüpfte Erweiterung, die das Haus nun eingeschoßig auf drei Seiten umgibt. „Die Herausforderung war, das neue Raumprogramm drinnen und draußen ohne zu große Eingriffe unterzubringen. So ist diese Spange entstanden, die alles, was zusätzlich gewünscht war, unterbringt“, erklärt Architekt Matthias Hein. Es ist eine Art Haus ums Haus: Vorne, Richtung Straße, formt es einen geschützten Eingangsbereich, bietet den nötigen Abstellraum und verlängert die zu klein gewordene Garage, obenauf entstand ein Westbalkon. Im Nahbereich von Esszimmer und Küche wird die Spange zum intimen Sitzbereich, gefasst von einer Pflanzenwand aus Bambus. Und dann, „der Clou“, wie der Architekt meint, wurde die ergänzende Holzarchitektur Richtung Süden vom Bestandshaus abgerückt und freigespielt. Statt einer angeklebten Loggia ist so ein autarker „Zweitwohnsitz“ im Freien entstanden, unter dessen weit gespannten Dach sich von morgens bis abends ein angenehmes Plätzchen finden lässt.
Aufenthaltsqualitäten zu differenzieren, das war auch innen angesagt. Es gelang mit einem Grundriss nach dem Schneckenhaus-Prinzip, der sich vom „öffentlichen“ Hauseingang über Esszimmer und Küche nach und nach in den „privaten“ Bereich des Wohnens zurückzieht und schließlich im Innersten im besonders lauschig gestalteten Lesezimmer endet. Unten behielten lediglich Kamin und Stiege ihren angestammten Platz, während das Obergeschoß zwar ebenfalls saniert, die bauliche Struktur aber belassen wurde.
Das führt zurück zur Ausgangsfrage: Wie viele Leben hat nun so ein Haus? Dieses hier ist schon in seinem dritten und es spricht nichts dagegen, dass ihm noch weitere gegönnt sein werden. Das hat zwei Voraussetzungen. Die eine liegt in der Kultur des Bewohnens, in den Menschen, die dem Haus Veränderung und neues Leben zugestehen. Die andere liegt im Bauwerk selbst, in der baulich guten Qualität und einfachen Struktur, die vieles zulässt und kaum etwas verhindert – vor allem daran sollte, wer neu baut, schon jetzt ein bisschen denken.
‚Baukulturgeschichte‘ im Auftrag des vai Vorarlberger Architektur Institut für das Magazin Leben & Wohnen der Vorarlberger Nachrichten.